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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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sind die Praktikantin.«
    »Stimmt«, gab sie zu. »Verhörspezialisten liefern Resultate.«
    *
    Im Erdgeschoss, hinter den Zellen für die Neuzugänge, befindet sich die zentrale Effektenkammer. Dort wollte ich mich vor der Heimfahrt noch ein bisschen umsehen. Sämtliche Wertgegenstände hatten die MfSS-Agenten den Häftlingen natürlich längst abgenommen, wenn sie hier eintrafen. Regal um Regal betrachtete ich die erbärmlichen Habseligkeiten, die die Leute bei ihrem ersten und letzten Besuch in unserem Hause bei sich trugen. Sehr viele Sandalen. Scheinbar tragen Staatsfeinde überwiegend Größe 39. Hier lagen die Eicheln,die Leute in der Hosentasche gehabt hatten, die Zweige, mit denen sie sich die Zähne putzten, Rucksäcke voller Lumpen, Besteck und Geschirr. Und neben einem Streifen Klebeband, auf dem der Name Genosse Buc stand, fand ich eine Dose Pfirsiche mit rot-grünem Etikett, geerntet in Manp'o, abgefüllt in Konservenfabrik 49.
    Ich nahm die Pfirsichbüchse und machte mich auf den Weg nach Hause.
    Die U-Bahn fuhr bereits wieder, und wer mich hier gesehen hätte, eingequetscht in einem Waggon zwischen Hunderten von Fabrikarbeitern, die sich in den Kurven unfreiwillig aneinanderlehnten, hätte mich für einen von ihnen gehalten. Meine Gedanken kreisten um das Bild von Bucs Familie – so schön in ihren weißen Kleidern. Ich hoffte, dass meine blinde Mutter beim Frühstückmachen die Wohnung nicht in Brand setzte. Irgendwie konnte sie es immer vermeiden. Und sogar hundert Meter unter der Erde hörten wir, wie die Sirenen mit fünffachem Schrillen den Anbruch eines Heldentags der Arbeit verkündeten.

ALS KOMMANDANT GA die Augen aufschlug, standen der Junge und das Mädchen am Fußende des Bettes und starrten ihn an. Im Grunde war von ihnen nicht mehr als ein erster Lichtglanz im Haar zu erkennen, ein blauer Hauch auf den Wangenknochen. Er blinzelte, nur für eine Sekunde, so schien es ihm, aber er musste doch wieder eingeschlafen sein. Als er die Augen erneut öffnete, waren die Kinder verschwunden.
    Er fand sie in der Küche. Sie hatten den Stuhl an die Anrichte geschoben und spähten in das oberste Fach des Küchenschranks.
    Ga entzündete die Flamme unter der Stahlpfanne, löffelte etwas Öl hinein und viertelte eine Zwiebel.
    »Und, wie viele Pistolen liegen da drin?«, fragte er.
    Die Kinder sahen sich an. Das Mädchen hielt drei Finger hoch.
    »Hat euch jemand gezeigt, wie man mit einer Pistole umgeht?«
    Sie schüttelten den Kopf.
    »Na, dann wisst ihr ja, dass ihr sie nicht anfassen dürft.«
    Sie nickten.
    Der Zwiebelduft sorgte für Gebell auf dem Balkon.
    »Kommt mit, ihr zwei«, sagte er. »Wir müssen die Zigaretten eurer Mutter finden, bevor sie aufwacht und fuchsteufelswild wird.«
    Zusammen mit Brando inspizierte Kommandant Ga das Haus, tippte mit den Zehen gegen die Scheuerleisten und schaute unter die Möbel. Brando beschnüffelte alles und bellte wie wild; die Kinder hielten sich misstrauisch im Hintergrund, waren aber neugierig. Ga wusste nicht, wonach er suchte. Langsam arbeitete er sich von einem Raum zum nächsten vor. Er bemerkte ein zugekleistertes Ofenloch, wo einmal ein Kohleofen gestanden hatte; an anderer Stelle warf der Putz Blasen, wahrscheinlich war eine Stelle im Dach undicht. In der Nähe der Haustür sah er Spuren auf den Bodendielen. Er fuhr mit den Zehen über die Kratzer und hob den Kopf.
    Er holte sich einen Stuhl, stieg hinauf und entdeckte ein loses Stück Zierleiste. Er fasste in die hohle Wand dahinter und zog eine Stange Zigaretten heraus.
    »Ach, jetzt verstehe ich«, sagte der Junge. »Du hast nach einem Versteck gesucht.«
    Es war das erste Mal, dass der Junge mit ihm sprach.
    »Ganz genau«, antwortete er.
    »Es gibt noch eins«, sagte der Junge. Er zeigte auf das Porträt von Kim Jong Il.
    »Ich schicke euch auf eine Geheimmission«, sagte Ga zu den Kindern und überreichte ihnen ein Päckchen Zigaretten. »Ihr müsst eurer Mutter die Zigaretten unters Kopfkissen schmuggeln, ohne dass sie dabei aufwacht.«
    Die Gemütsregungen des Mädchens zeigten sich nur sehr verhalten und waren leicht zu übersehen – ganz anders als bei ihrer Mutter. Mit einem minimalen Hochziehen der Oberlippe gab die Kleine zu erkennen, dass dies zwar weit unter ihrer Würde als Spionin war, sie die Aufgabe aber trotzdem annahm.
    Als Kommandant Ga das überdimensionierte Porträt des Geliebten Führers abgenommen hatte, kam ein in die Wand eingelassenes Regal zum Vorschein. Den

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