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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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irren.«
    »Vater, ich bin es. Hier ist niemand sonst. Keiner hört mit.«
    »Hör auf mit diesem gefährlichen Gerede«, sagte meine Mutter. »Wir haben uns mit niemandem getroffen.«
    »Ich sage doch nicht, dass ihr euch getroffen habt. Ihr habt zu viert Karten gespielt, wenn die Fabrik zugemacht hat. Ihr habt gelacht und Soju getrunken.« Ich griff nach der Hand meines Vaters, aber die Berührung überraschte ihn, und er zog seine Hand weg. »Vater, ich bin es. Nimm meine Hand.«
    »Stelle unsere Loyalität nicht in Frage«, forderte mein Vater. »Was ist das, ein Test?« Er ließ seinen trüben Blick durch den Raum wandern. »Werden wir auf die Probe gestellt?«, fragte er die Luft.
    Es gibt ein Gespräch, das jeder Vater mit seinem Sohn führt, in dem er dem Kind klarmacht, dass es Dinge gibt, die wir tun oder sagen müssen, auch wenn wir trotzdem tief drinnen immer noch wir selbst und eine Familie sind. Ich war acht Jahre alt, als mein Vater dieses Gespräch mit mir führte. Wir standen unter einem Baum auf dem Moranbong-Hügel. Er erzählte mir, dass es einen Weg gibt, der uns vorbestimmt ist. Auf diesem Weg müssen wir alles tun, was uns die Vorschriften sagen und alle Verbotsschilder befolgen. Und auchdann, wenn wir diesen Weg Seite an Seite beschreiten, sagte er, muss äußerlich jeder für sich handeln, während wir uns innerlich an den Händen halten. Sonntags waren die Fabriken geschlossen, die Luft war klar, und ich konnte mir vorstellen, wie dieser Weg durch das ganze Taedong-Tal führte, von Weiden gesäumt und von kleinen, weißen Wölkchen beschattet. Wir aßen Wassereis mit Waldbeergeschmack und hörten die alten Männer, die Janggi spielten oder die Karten bei einem lebhaften Gotori -Spiel auf die Tische knallten. Bald kreisten meine Gedanken um kleine Segelboote, wie jene, mit denen die Yangban -Kinder am Teich spielten. Aber mein Vater blieb mit mir auf dem Weg, er klärte mich auf.
    Er sagte zu mir: »Ich denunziere diesen Jungen, weil er eine blaue Zunge hat.«
    Wir mussten lachen.
    Ich zeigte auf meinen Vater. »Dieser Bürger isst Senf.«
    Ich hatte gerade zum ersten Mal Senfwurzel probiert, und mein Gesichtsausdruck hatte meine Eltern zum Lachen gebracht. Jetzt fand ich alles lustig, was mit Senf zu tun hatte.
    Mein Vater sagte zu einer unsichtbaren Instanz: »Dieser Junge hat konterrevolutionäre Gedanken über Senf. Er sollte zur Arbeit auf einer Senfkornfarm verdonnert werden, um seine senfigen Gedanken zu korrigieren.«
    »Dieser Papa isst Gurkeneis mit Senfkacke!«, gackerte ich.
    »Der war gut. Jetzt nimm meine Hand«, forderte er mich auf. Ich legte meine Hand in seine, und plötzlich verzog sich sein Mund zu einer hasserfüllten Fratze. Er rief: »Ich denunziere diesen Bürger als eine imperialistische Marionette, die wegen staatsfeindlicher Umtriebe verhaftet werden muss.« Sein Gesicht war rot angelaufen und voller Hass. »Ich habe seine kapitalistischen Hetzreden gehört. Er hat versucht, unseren Geist mit seinem verräterischen Schmutz zu vergiften.«
    Die alten Männer sahen von ihrem Spiel auf und schauten uns an.
    Ich war zu Tode erschrocken, den Tränen nah. Mein Vater erklärte mir: »Siehst du, mein Mund hat das gesagt, aber meine Hand hat deine gehalten. Wenn Mutter jemals so etwas zu mir sagen muss, um euch beide zu schützen, dann weißt du, dass sie und ich uns innerlich an den Händen halten. Und wenn du eines Tages so etwas zu mir sagen musst, weiß ich, dass das nicht wirklich du bist. Du bist innen drin. Und dort drinnen werden Vater und Sohn sich immer an den Händen halten.«
    Dann wuschelte er mir mit der Hand durch die Haare.
    *
    Es war mitten in der Nacht. Ich konnte nicht schlafen. Ich versuchte einzuschlafen, aber dann lag ich einfach auf meinem Klappbett und rätselte, wie es Kommandant Ga gelungen war, sein Leben zu ändern und zu einem anderen Menschen zu werden. Ohne irgendwelche Akteneinträge darüber, wer er gewesen war. Wie entkommt jemand dem Ergebnis seines Parteitauglichkeitstests oder den zwölf Jahren Bewertung des Rechten Denkens durch seinen Lehrer? Ich spürte, dass Gas verborgene Geschichte voller Freundschaften und Abenteuer steckte, und ich war eifersüchtig darauf. Es war mir egal, dass er vermutlich die Frau umgebracht hatte, die er liebte. Wie hatte er die Liebe gefunden? Wie hatte er das geschafft? Und hatte ihn die Liebe zu einem neuen Menschen gemacht, oder war, wie ich eher vermutete, die Liebe plötzlich aufgetaucht, als er eine

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