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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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seinen Bruder, danach seine Mutter, ein Jahr später die kleine Schwester, ganz zu schweigen von mehreren Stiefmüttern – ja, der Geliebte Führer ist jemand, der die Sprache des Verlusts nur zu gut kennt.
    Doch Sun Moon wusste, dass Respekt zum Leben eines guten Bürgers gehört, und sie packte ein Picknick ein, mit dem sie auf den Friedhof der Märtyrer der Revolution zogen, nur einen kurzen Spaziergang von ihrem Haus am Hang des Taesong entfernt. Auf dem Heldenfriedhof angekommen, breitete die Familie eine Decke aus, auf der sie ihr Mahl einnehmen und sich zurücklehnen konnten, weil sie wussten, dass sie von Taepodong-2-Raketen bewacht wurden, während hoch über ihnen der nordkoreanische Satellit Heller Stern seine Bahnen zog und sie vom Weltall aus beschützte.
    Zum Picknick gab es natürlich Koreanischen Feuertopf, und Sun Moon hatte verschiedene Banchan als Beilagen zu dem Festmahl zubereitet: Gui, JJim, Jeon und Namul . Sie dankten dem Geliebten Führer für den reichen Segen und ließen es sich schmecken!
    Während sie aßen, erkundigte sich Kommandant Ga nach Sun Moons Eltern. »Wohnen sie auch hier in der Hauptstadt?«
    »Ich habe nur noch meine Mutter«, antwortete Sun Moon. »Sie hat sich in Wŏnsan zur Ruhe gesetzt, lässt aber nie von sich hören.«
    Kommandant Ga nickte. »Ja, Wŏnsan.«
    Er blickte hinaus in die Weite des Friedhofs und stellte sichdabei bestimmt all die Golf- und Karaokeveranstaltungen an diesem himmlischen Ort für alte Menschen vor.
    »Warst du schon mal da?«, wollte sie wissen.
    »Nein, aber ich habe Wŏnsan vom Meer aus gesehen.«
    »Und, ist es schön da?«
    Die Essstäbchen der Kinder flogen nur so. Vögel beäugten sie aus den Bäumen.
    »Tja«, antwortete er. »Der Sand ist besonders weiß, das stimmt. Und die Wellen sind schön blau.«
    Sie nickte. »Bestimmt. Aber warum schreibt sie bloß nicht? Warum?«
    »Hast du ihr denn geschrieben?«
    »Sie hat mir nie ihre neue Adresse mitgeteilt.«
    Kommandant Ga wusste natürlich, dass Sun Moons Mutter viel zu viel zu tun hatte, um Zeit zum Briefeschreiben zu haben. In keinem anderen Land der Welt gibt es eine ganze Stadt, die nur dem Wohlbefinden der Ruheständler gewidmet ist, und das direkt am Strand. Hier wird ihnen Brandungsangeln, Aquarellmalerei, Handarbeiten, ein Juche-Lesezirkel und vieles mehr geboten – viel zu viel, um alles aufzählen zu können! Ga wusste natürlich auch, dass weniger Post auf dem Weg durch unser glorreiches Vaterland verloren ginge, wenn mehr Mitbürger sich am Abend und Wochenende zu freiwilligen Arbeitseinsätzen im Hauptpostamt einfinden würden.
    »Hör auf, dir Sorgen um deine Mutter zu machen«, redete er ihr gut zu. »Du solltest deine Aufmerksamkeit auf die Jugend richten.«
    Nach dem Essen verstreuten sie die letzten Reste auf dem Rasen, damit die reizenden Singvögel sie aufpicken konnten. Ga beschloss, etwas für die Bildung der Kinder zu tun. Gemeinsam erklommen sie den Hügel zur Gedenkstätte; während Sun Moon voller Stolz zusah, zeigte ihnen der guteKommandant die wichtigste Märtyrerin: Kim Jong Suk, Kim Il Sungs Gattin und Kim Jong Ils Mutter. Die Büsten der Märtyrer sind aus Bronze und überlebensgroß; die leuchtenden Brauntöne lassen die Personen sehr lebendig wirken. Ausführlich erzählte Ga von Kim Jong Suks Heldentaten im Kampf gegen die Japaner, und dass man sie in besonders liebevoller Erinnerung hatte, weil sie die schweren Rucksäcke älterer Revolutionskämpfer geschleppt hatte. Die Kinder weinten darüber, dass sie so jung gestorben war.
    Dann gingen sie ein paar Meter weiter zu den nächsten Märtyrern: Kim Chaek, An Kil, Kang Kon, Ryu Kyong Su, Jo Jong Chol und Choe Chun Guk, allesamt Patrioten der höchsten Ordnung, die Seite an Seite mit dem Großen Führer gekämpft hatten. Dann zeigte ihnen Kommandant Ga die Grabstätte des heißblütigen O Jung Hup, Kommandant des berühmten Siebten Regiments. Neben ihm war der ewige Wächter Cha Kwang Su zu finden, der bei einer Nachtwache am Chon-See erfror. Die Kinder frohlockten über ihr neues Wissen. Und hier war Pak Jun Do, der sich zum Beweis seiner treuen Ergebenheit das Leben nahm. Unvergessen ist auch Back Hak Lim, der sich seinen Spitznamen »Uhu« redlich verdient hatte. Und wer hatte noch nie von Un Bo Song gehört, der sich die Ohren mit Lehm verstopfte, bevor er eine japanische Geschützstellung stürmte? Mehr, riefen die Kinder, mehr! Und so schritten sie durch die Reihen, vorbei an Kong Young, Kim Chul

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