Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson

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Zeit, über deinen nächsten Film zu sprechen.«
    »Ich lerne schon den Text«, antwortete sie.
    »Von Die größten Opfer ?«, fragte er. »Wirf das Drehbuch weg, ich habe meine Meinung geändert – eine Geschichte mit einem Ersatzmann steht dir nicht zu Gesicht. Komm nur, komm und wirf einen Blick auf deine neuen Projekte.«
    Sie kamen zu drei Staffeleien, die von Musikern im Smoking umringt waren. Und hier wartete, ebenfalls mit einem Smoking angetan, Dak-Ho, der staatliche Filmproduzent. Mit seinem klangvollen Tenor hatte er die Offkommentare in all ihren Filmen gesprochen. Dak-Ho hob das Tuch von der ersten Staffelei und enthüllte ein Plakat für Sun Moons nächsten Film. Es zeigte eine hinreißende, fast aus ihrer adretten Uniform berstende Sun Moon, eng umschlungen von einem Marineoffizier, und über ihnen ein Strahlenkranz aus Torpedos. Doch welch eine Überraschung, Bürger – der Offizier, in dessen Armen sie liegt, trägt eine südkoreanische Uniform!
    » Die Dämonenflotte «, verkündete Dak-Ho mit kräftiger, sonorer Stimme.
    Das Orchester begann, ein packendes, beklemmendes Thema aus dem geplanten Film zu spielen.
    »In einer Welt voller Gefahren und Intrigen«, deklamierte Dak-Ho, »entdeckt eine Frau, dass ein reines Herz die einzig wirksame Waffe gegen die imperialistische Bedrohung ist. Sun Moon ist die einzige Überlebende eines südkoreanischen Überraschungsangriffs auf ihr Unterseeboot. Von deren Kanonenboot wird sie ›gerettet‹. Als Gefangene des forschen südkoreanischen Kapitäns ist sie gezwungen, die Verteidigungsstellungen ihrer eigenen Flotte zu verraten. Nach und nach aber kann sie ihrem attraktiven Entführer klarmachen, dass eigentlich er der Gefangene ist – gefangen in den Manipulationen des amerikanischen Regimes. Auf dem atemberaubenden Höhepunkt richtet er schließlich seine Kanonen auf den wahren Feind.«
    Der Geliebte Führer grinste von einem Ohr zum andern. »Das Unterseeboot, das wir für die Eröffnungsszene verwenden, liegt bereits im Taedong«, erklärte er. »Und während wir uns hier unterhalten, durchkämmt ein ganzes Marinegeschwader die umstrittenen Gewässer nach einem passenden südkoreanischen Kanonenboot.«
    Der Geliebte Führer schnippte mit den Fingern, und schon wurde das zweite Plakat enthüllt.
    Jubelnde Geigen setzten zu einem mitreißenden Refrain an.
    » Die Schwebende Mauer –«, begann Dak-Ho, doch der Geliebte Führer unterbrach ihn.
    »Das ist ein Film über den ersten weiblichen Pubjok«, erklärte der Geliebte Führer und wies auf die schöne, entschlossene Frau auf dem Plakat. Er deutete auf die auf Hochglanz polierte Marke und auf ihren Blick, der fest auf eine bessere Zukunft gerichtet war. »In dieser Rolle wirst du Resultate liefern – Fälle knacken und beweisen, dass eine Frau genauso stark sein kann wie jeder Mann.«
    Der Geliebte Führer wandte sich ihr zu, um ihre Reaktion zu sehen.
    Sun Moon zeigte auf das Plakat. »Aber ihr Haar«, sagte sie. »Das ist ja ganz kurz.«
    »Habe ich noch nicht gesagt, dass es eine wahre Geschichte ist?«, fragte er. »Erst vor wenigen Wochen wurde tatsächlich eine Frau von der Abteilung 42 angeheuert.«
    Sun Moon schüttelte den Kopf. »Mit so kurzem Haar kann ich nicht spielen«, sagte sie.
    »Die dargestellte Person gehört zu den Pubjok«, erklärte der Geliebte Führer. »Also müssen die Haare kurz sein. Du schreckst doch sonst nicht vor Authentizität zurück, du schlüpfst doch auch sonst ganz in deine Rollen.« Er berührte ihr Haar. »Es ist wunderschön, aber Opfer müssen nun einmal sein.«
    Das letzte Filmplakat blieb noch verhüllt; Sun Moon blickte immer betrübter drein. Gegen ihren Willen begannen Tränen über ihre Wangen zu rollen. Mit verschränkten Armen wandte sie sich ab.
    Bürger, seht her, wie zartbesaitet Sun Moon ist! Der aufmerksame Betrachter wird erkennen, dass allein sie die für diese Rollen notwendige Unschuld besitzt. Sollte uns jemand Sun Moon rauben, so würden wir auch dieser unvergesslichen Filmfiguren beraubt, und nicht nur das – die Nachwelt müsste auf die Filme selbst verzichten! Die Zukunft des Filmschaffens unserer Nation würde zur Geisel genommen, und diese Filmkunst gehört nicht nur unseren patriotischen Bürgern, sondern der ganzen Welt!
    Der Geliebte Führer trat neben sie. »Bitte sag, dass du Freudentränen weinst!«
    Schluchzend nickte Sun Moon.
    »Was ist denn mit dir?«, fragte er. »Nun komm, mir kannst du es doch sagen.«
    »Ich weine nur,