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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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bleiben, ob die Ruderinnen es bis nach Hause geschafft hatten. Er hatte die Nase voll vom ewigen Rätseln.
    Ein Marinesoldat kam aus dem Steuerhaus, die DVRK-Flagge als Cape umgehängt.
    »Hey, hast du ’n Arsch offen, Alter?«, sagte ein Kamerad. »Wo hast du die denn her? Du bist doch krank, und das Ding gibst du jetzt mir.«
    Ein weiterer Soldat kam zurück an Deck. Auf seinem Namensschildchen stand »Lieutenant Jervis«, und er hielt ein Klemmbrett in der Hand. »Haben Sie Rettungswesten an Bord?«, fragte er die Besatzung.
    Jervis versuchte, eine Weste mimisch darzustellen, aber die Junma -Crew schüttelte nur den Kopf. Jervis machte ein Häkchen auf seiner Liste. »Eine Signalpistole?«, fragte er und tat so, als ob er in die Luft schießen würde.
    »Auf keinen Fall«, antwortete der Kapitän. »Auf mein Schiff kommen keine Waffen.«
    Jervis drehte sich zu Pak um. »Sind Sie jetzt Dolmetscher oder nicht?«, fragte er.
    »Ich bin Offizier des Nachrichtendienstes«, antwortete der.
    »Tun Sie mir verdammt noch mal den Gefallen und übersetzen Sie!«
    »Haben Sie mich nicht gehört? Das sind Spione!«
    »Spione?«, fragte Jervis zurück. »Das Schiff ist halb abgefackelt. Die haben nicht mal ein Scheißhaus auf diesemschwimmenden Schrotthaufen. Fragen Sie einfach, ob sie einen Feuerlöscher haben.«
    Jun Dos Augen leuchteten auf.
    »Da, sehen Sie«, sagte Pak, »der da hat jedes Wort verstanden. Die sprechen wahrscheinlich alle Englisch.«
    Jervis tat so, als hielte er einen Feuerlöscher in der Hand, mit Klangeffekten.
    Der Maschinist drückte die Hände flehend aneinander.
    Er hatte zwar ein Funksprechgerät, aber Jervis brüllte trotzdem zum Schiff hoch: »Wir brauchen hier einen Feuerlöscher!«
    Oben wurde diskutiert. Dann kam die Antwort: »Brennt’s denn?«
    »Leckt mich!«, schrie Jervis. »Gebt einfach einen her!«
    Pak meinte: »Den verkaufen die eh nur auf dem Schwarzmarkt. Banditen sind das, ein ganzes Land voll!«
    Als Jun Do sah, wie ein roter Feuerlöscher an einer Leine von dem Kriegsschiff heruntergelassen wurde, war auf einmal klar, dass die Amerikaner sie gehen lassen würden. Er hatte fast noch nie Englisch gesprochen, das war nicht Teil seiner Ausbildung gewesen, aber er probierte es einfach mal aus: » Life boat! «, kam ihm mühsam über die Lippen.
    Jervis sah ihn an. »Ihr habt kein Rettungsboot?«
    Jun Do schüttelte den Kopf.
    »Und schickt noch ’n Schlauchboot hinterher«, schrie Jervis hoch zum Schiff.
    Pak stand kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Er nahm den Helm ab und fuhr sich mit der Hand über den flachen Bürstenschnitt. »Ist das etwa nicht offensichtlich, warum die kein Rettungsboot haben dürfen?«
    »In einem muss man Ihnen allerdings recht geben«, sagte Jervis zu ihm. »Es stimmt, dass der da Englisch versteht.«
    Im Steuerhaus spielten ein paar der Amerikaner mit der Funkanlage herum. Man hörte, wie sie Funkmeldungen absetzten. Einer nahm den Hörer in die Hand und sagte: »Dies ist eine private Nachricht an Kim Jong Il von Tom John-Son. Wir haben Ihren schwimmenden Schönheitssalon abgefangen, können aber Ihr Haarspray nicht finden, und den Strampelanzug und die Plateauschuhe auch nicht. Bitte kommen.«
    Der Kapitän hatte ein Rettungsboot erwartet; als stattdessen ein gelbes Bündel abgeseilt wurde, das nicht größer als ein Zwanzig-Kilo-Sack Reis war, reagierte er verwirrt. Jervis zeigte ihm den roten Handauslöser und deutete mit ausgebreiteten Armen an, wie es sich automatisch aufblasen würde.
    Die Amerikaner hatten kleine Fotoapparate dabei, und als der erste seinen zückte, taten es ihm die anderen gleich – sie fotografierten den Nike-Berg, das braune Waschbecken, an dem sich die Mannschaft rasierte, den in der Sonne trocknenden Schildkrötenpanzer, das Loch, das der Maschinist in die Reling gehauen hatte, damit er über Bord scheißen konnte. Ein Soldat bekam den Kalender des Kapitäns in die Hände, lauter Standbilder aus den letzten Filmen der Schauspielerin Sun Moon. Sie amüsierten sich darüber, dass nordkoreanische Pin-ups knöchellange Kleider trugen. Da hatten sie die Rechnung aber ohne den Kapitän gemacht. Er ging hin und schnappte sich seinen Kalender zurück. Und dann tauchte ein Amerikaner mit dem gerahmten Porträt von Kim Jong Il in der Hand aus dem Steuerhaus auf. Er hatte es von der Wand abgerissen und hielt es hoch.
    »Hey, Leute, guckt euch das an!«, tönte er. »Der Chef höchstpersönlich.«
    Die Männer der Junma standen wie

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