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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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gingen in den fischreichen Gewässern Nordkoreas ihrer Arbeit nach, um den Reichtum des demokratischsten Landes der Welt zu mehren. Müde waren sie, und ihr Plansoll hatten sie weit übererfüllt, doch sie wussten, dass der Geburtstag des Großen Führers Kim Il Sung bevorstand und ihm Würdenträger aus aller Welt ihre Aufwartung machen würden.«
    Der Erste Maat holte das Paar Schuhe heraus, das er beiseite gelegt hatte. Mit einem tiefen Seufzer warf er es ins Meer. Er sagte: »Und wie konnten diese einfachen Fischersleute ihrer Liebe zum Großen Führer Ausdruck verleihen? Sie beschlossen, die köstlichen nordkoreanischen Garnelen zu fangen, die besten der Welt.«
    Der Steuermann kickte einen Schuh ins Wasser. »Um den Großen Führer zu preisen, sprangen die Garnelen freudig aus dem Meer in die Netze der Fischer.«
    Der Maschinist fing an, ganze Schuhberge über Bord zu schieben. »Feige versteckten sich die Amerikaner im Nebel«, sagte er, »in einem Riesenschiff, das mit dem Blutgeld der Kapitalisten bezahlt wurde.«
    Der Zweite Maat schloss kurz die Augen. Er zog seine neuen Schuhe aus und hatte nun gar keine mehr. Ihm war anzusehen, dass nichts auf der Welt verkehrter oder schlimmer sein konnte als das, was ihm in diesem Augenblick zugemutet wurde. Und dann ließ er die Schuhe ins Wasser plumpsen. Er tat so, als halte er Ausschau zum Horizont, damit niemand sein Gesicht sah.
    Der Kapitän wandte sich an Jun Do. »Und wie hast du dich im Angesicht dieser brutalen imperialistischen Aggression verhalten, Bürger?«
    »Ich kann alles bezeugen«, antwortete Jun Do. »Der junge Zweite Maat ist zu bescheiden, um von seinen Heldentaten zu sprechen, aber ich kann sie bezeugen. Ich habe alles mit eigenen Augen gesehen: Wie die Amerikaner unser Schiff in einem Überraschungsangriff enterten, wie ein südkoreanischer Offizier die Amerikaner herumkommandierte wie Hunde an der Leine. Ich sah, wie sie unser Land entehrten und mit unserer Flagge herumstolzierten, doch als sie Hand an die Bildnisse unserer geliebten Führer legten, zog der Zweite Maat blitzschnell sein Messer und stellte sich einem ganzen Zug amerikanischer Imperialistenschweine entgegen. Damit bewies er den wahren Geist der Selbstaufopferung. Innerhalb weniger Augenblicke wurden die feigen Amerikaner vom Heldenmut und Kampfesgeist unseres Maats in die Flucht geschlagen.«
    Der Kapitän kam und klopfte Jun Do auf die Schulter. Und damit flogen auch die restlichen Nikes ins Meer, hinter dem Schiff bildete sich ein Schuhteppich auf dem Wasser. Was sie eine ganze Nacht lang aufgefischt hatten, war innerhalb weniger Minuten verschwunden. Dann rief der Kapitän nach dem Feuerlöscher.
    Der Maschinist trat damit an die Reling, und alle sahen zu, wie er im Wasser versank, Nase voran, ein rotes Aufleuchten, dann raste er der Tiefe entgegen. Als das Rettungsboot an die Reihe kam, betrachteten sie ein letztes Mal, wie unglaublichgelb es im Nachmittagslicht leuchtete. Als der Erste Maat das Plastikbündel über die Reling schieben wollte, gebot der Kapitän ihm Einhalt. »Warte.« Er schien einen Beschluss zu fassen. »Lasst uns wenigstens sehen, wie das Ding funktioniert.« Er zog an dem roten Griff, und wie versprochen hatte das Boot sich explosionsartig aufgeblasen, noch bevor es aufs Wasser klatschte. Es war so neu und sauber, ein Rettungsfloß mit Schutzdach, groß genug für alle sechs. Zuoberst blinkte ein kleines, rotes Licht, und zusammen sahen sie zu, wie es ohne sie davonschwamm.
    *
    Jun Do schlief, bis sie nachmittags im Hafen von Kinjye anlegten. Die gesamte Besatzung hatte die roten Parteiabzeichen angesteckt. Am Kai wurden sie von einer größeren Menschenansammlung erwartet: Soldaten, der Seefahrtsminister aus Ch'ŏngjin, örtliche Parteikader und ein Lokaljournalist der Rodong Sinmun . Alle hatten bereits von den empörenden Funkdurchsagen der Amerikaner gehört, wären allerdings nie auf die Idee gekommen, der amerikanischen Flottille die Stirn zu bieten und die Junma zu retten.
    Jun Do erzählte seine Geschichte, und als der Journalist nach seinem Namen fragte, bekam er zur Antwort, der spiele keine Rolle, er sei nur ein bescheidener Bürger der größten Nation der Welt. Das gefiel dem Journalisten. Auf dem Anleger stand auch ein älterer Mann, den Jun Do anfangs nicht bemerkt hatte, im grauen Anzug mit einem weißen Bürstenschnitt. Seine Hände waren allerdings unvergesslich: Sie waren mehrfach gebrochen worden und schief zusammengeheilt. Im Grunde

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