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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Goldgurt im Taekwondo errungen und die Armee von Homosexuellen gesäubert.
    Der Zweite Maat sagte: »Kommandant Ga hat sogar gegen einen Bären gekämpft.«
    »Na, ob das stimmt«, brummte der Kapitän, während er die feinen Konturen von Sun Moons Hals stach. »Als Kommandant Ga zum Wettkampf nach Japan fuhr und Kimura schlug, wusste jeder, dass er nach der Rückkehr seine Belohnung verlangen würde. Der Geliebte Führer ernannte ihn zum Minister für Gefängnisbergwerke, eine begehrte Position, da man nichts zu tun braucht. Doch Kommandant Ga verlangte die Schauspielerin Sun Moon. Das gab Ärger in der Hauptstadt. Schließlich musste der Geliebte Führer sie aufgeben. Ga heiratete sie, sie bekamen zwei Kinder, und jetzt führt Sun Moon ein zurückgezogenes, einsames Leben voller Melancholie.«
    Da verstummten alle, und Jun Do verspürte plötzlich Mitleid mit der Schauspielerin.
    Der Zweite Maat warf dem Kapitän einen gequälten Blick zu. »Stimmt das?«, fragte er. »Ist das wirklich ihr Schicksal?«
    »Das ist das Schicksal aller Ehefrauen«, sagte der Kapitän.
    *
    Spät in jener Nacht brannte Jun Do die Brust; zugleich sehnte er sich danach, von dem Mädchen zu hören, das im Dunkelnruderte. Der Kapitän hatte gesagt, die Tätowierung würde sich nicht entzünden, wenn er Meerwasser darüber goss, aber Jun Do wollte nicht riskieren, das Mädchen zu verpassen, während er einen Eimer Wasser holte. Er hatte immer stärker das Gefühl, dass er sie als einziger Mensch auf der Welt verstand. Es war Jun Dos Fluch, eine Nachteule in diesem Land zu sein, in dem es nachts keinen Strom gab. Er war zur Nachtarbeit verpflichtet, so, wie andere bei Sonnenuntergang die Riemen in die Hand nahmen und wieder andere sich beim Einschlafen den Kopf von den Lautsprechern volldröhnen ließen. Sogar die Mannschaft sprach schon davon, dass die Amerikanerin in den Sonnenaufgang rudere, als sei der Sonnenaufgang ein herrliches, überirdisches Land. Jun Do wusste natürlich, dass sie bis zum Sonnenaufgang ruderte und sich dann erschöpft und befriedigt schlafen legte. In den frühen Morgenstunden fand er endlich ihr schwaches, hoch aus dem Norden kommendes Signal.
    »Das Navigationssystem muss kaputt sein«, berichtete sie. »Es meldet uns ständig falsche Daten. Wir können unmöglich da sein, wo wir angeblich sind. Etwas ist da draußen auf dem Wasser, aber es ist nichts zu sehen.«
    Jun Do verlor das Signal und justierte den Regler.
    Dann war sie wieder da. »Kommen wir durch? Hört uns jemand? Vor uns ist ein Schiff, ohne Lichter. Wir haben die Signalpistole abgefeuert, und das rote Licht ist am Rumpf abgeprallt. Ist da draußen irgendjemand, kann uns jemand retten?«
    Wer mochte sie bloß angreifen? , fragte er sich. Welcher Pirat würde eine Frau überfallen, die nichts weiter wollte, als einen Weg durch die Dunkelheit zu finden? Ein Knall kam über die Kopfhörer – ein Schuss? Blitzschnell gingen Jun Do sämtliche Gründe durch den Kopf, warum er sie nicht rettenkonnte: Sie waren zu weit im Norden, die Amerikaner würden sie sicher finden, die Junma hatte noch nicht mal Karten von den Gewässern dort. Was natürlich alles stimmte, aber der wahre Grund war er selbst. Weil Jun Do an Bord war, durften sie auf keinen Notruf reagieren. Er streckte den Arm aus und schaltete den Empfänger ab, hatte aber immer noch das grüne Nachbild der Pegelanzeigen vor Augen. Als er den Kopfhörer abnahm, spürte er plötzlich die kalte Luft. An Deck suchte er den Horizont nach dem einsamen roten Lichtbogen ihres Notsignals ab.
    »Was verloren?«, fragte der Kapitän, nichts als eine Stimme am Steuerruder.
    Jun Do drehte sich um und sah das Glimmen seiner Zigarette.
    »Ja, ich glaube schon«, antwortete Jun Do.
    Der Kapitän verließ die Brücke nicht. »Du hast den Zweiten Maat schon genug durcheinandergebracht«, sagte er. »Das Letzte, was er braucht, sind irgendwelche spinnerten Ideen von dir.«
    Jun Do holte einen Eimer Seewasser hoch und schüttete es sich über die Brust. Das Brennen war wie eine lang zurückliegende Erinnerung. Er blickte weiter aufs Meer hinaus. Die schwarzen Wogen stiegen klatschend auf, und in den weiten Wellentälern konnte man sich alles und nichts vorstellen. Jemand wird euch retten , dachte er. Haltet nur lange genug durch, dann wird schon jemand kommen.
    *
    Die Besatzung hatte tagsüber Langleinen ausgelegt, und als Jun Do bei Sonnenuntergang erwachte, holten sie gerade die ersten Haie ein. Seit sie von den

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