Das geraubte Paradies
Mauern der Systemsperre eine Weile dauern würde, hatte er sich im Erdgeschoss ein paar Sesselpolster besorgt und in der hinteren Ecke des Raums zusammengerollt. »Weckt mich, wenn was Spannendes passiert«, hatte er verkündet, dann war er einfach eingeschlafen. Carya beneidete ihn um diese Fähigkeit.
Jetzt allerdings regte sich der Straßenjunge, drehte sich um und wachte auf. »Was ist denn das für ein Krach?«, murmelte er. Eine Sekunde später weiteten sich seine Augen, und er sprang auf die Beine. »Oh Mann, sind das Explosionen?«
»Du hast richtig gehört«, antwortete Carya nickend. »Der Angriff hat begonnen.«
Pitlit rieb sich die Augen. »Und wie weit sind
wir?«
»Fast fertig, bin fast drin«, murmelte Ferrer geistesabwesend.
»Wie spät ist es denn?«, wollte der Junge wissen, als er sich zu den anderen gesellte.
»Kurz vor halb sechs«, sagte Emm.
»Au Kacke. Soll das heißen, der hockt da jetzt schon die ganze Nacht vor dem Apparat?« Pitlit deutete auf Ferrer.
»Hab’s gleich. Ich … Ja!« Ferrer riss die Arme in die Höhe. »Verdammt, ich wusste, dass ich es schaffen kann. Meine Damen und Herren, hiermit ist diese Kommunikationsanlage vollständig in unserer Hand. Wir können damit machen, was wir wollen. Alle Funkimpulse für die Flugdrohnen lahmlegen. Jedwede drahtlose Kommunikation unterbinden. He, wir könnten ein wenig Musik auf alle Kanäle legen, dann wird das Leben gleich schöner.« Er bog den Kopf zurück und grinste sie übernächtigt und mit einem Hauch von Irrsinn in den Augen an.
»Beruhige dich, Ferrer«, sagte Emm. »Du hast zu lange auf diesen Bildschirm geschaut.«
Der Invitro-Techniker blinzelte ein paar Mal, und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. »Ja, vermutlich hast du recht. Entschuldige. Oh, verflixt, ich bin vollkommen hinüber. Ich könnte einen ganzen Eimer Kaffee leer trinken.«
»Vielleicht haben die Burschen unten etwas in ihrer Küche«, meinte Pitlit. »Ich habe da vorhin so eine Ecke gesehen.«
»Bevor wir jetzt anfangen, ein Picknick auf dem Fußboden zu machen, sollten wir diese Sache hier zu Ende bringen«, bremste Carya ihn. »Ferrer, stör alle Verbindungen der Erdenwacht.«
»Ja, sofort. Ich schalte alles ab.«
»Stopp, warte«, ging Emm dazwischen. »Wenn wir jetzt die Kommunikation unterbrechen, braucht Dymond genau fünf Minuten, um zu begreifen, was passiert ist. Und in zehn Minuten steht eine Einheit der Zonengarde vor der Tür.«
»Ich gehe stark davon aus, dass die alle oben am Pass sind«, sagte Ferrer.
Emm verdrehte die Augen. »Dann schickt er eben den Werkschutz unten aus dem Industriebezirk. Oder er kommt persönlich vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, mit fünf bewaffneten Ratsmitgliedern im Gepäck. Was ich damit sagen will: Wir sollten zuerst mit unseren Leuten Kontakt aufnehmen, denn das ist jetzt vielleicht unsere einzige Chance, uns mit ihnen abzusprechen. Wir müssen sie über die
Hephaistos-V
unterrichten und fragen, ob wir ihnen irgendwie helfen können. Danach legen wir die Anlage lahm und verschwinden.«
»Mal eine blöde Frage«, mischte Pitlit sich ein. »Hat eigentlich niemand drüben in der Doppelpyramide gemerkt, dass die Zentrale hier stundenlang gesperrt war? Ich hätte ja gedacht, dass irgendwann dieser Admini-Irgendwas-Kerl auftaucht, um zu fragen, warum der Alarm losgegangen ist.«
Ferrer schüttelte den Kopf. »So funktioniert das nicht. Die Kommunikationsanlage verrichtet ja weiter ihren Dienst. Nur alle Kontrollpulte wurden gesperrt. Erst wenn etwas nicht nach Wunsch gelaufen wäre, hätte sich draußen jemand gewundert und das System überprüft. Dann allerdings wäre der Vorfall bemerkt worden. Glücklicherweise ist das nicht passiert.« Er wandte sich wieder dem Pult zu. »So, dann wollen wir uns mal bei Julion melden.«
Um Jonan brannte die Erde – zumindest kam es ihm so vor. Es herrschte das reine Chaos. Männer brüllten, während sie von Bodenwelle zu Bodenwelle hetzten, um sich vor den Explosionen in Sicherheit zu bringen, die den felsigen Grund des Passes aufrissen und scharfkantige Gesteinsbrocken durch die Luft schleuderten. Auf dem Berghang donnerten die Kanonen Arcadions und Francias, ihnen gegenüber heulten die trommelförmigen Granatwerfer der Erdenwacht. Die Luft war geschwängert von Rauch und Brandgeruch, der nicht zuletzt von den vier brennenden Panzern herrührte, die in vorderster Frontreihe ihr rasches, unrühmliches Ende gefunden hatten. Ein arcadisches und ein
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