Das geraubte Paradies
ihm zu vertrauen, eine Einstellung, die Jonan ihm hoch anrechnete. »Ich bin hier, Carya«, sagte er, als er sich vor dem Funkgerät niedergelassen hatte.
»Erinnerst du dich an die große Straßenkreuzung in der Nähe des Sees? Du weißt schon, welchen ich meine.«
Natürlich wusste Jonan das. Sie meinte den See mit der Insel, auf der die geheime Invitro-Enklave lag. »Schon klar«, antwortete er. »Wann kann er vor Ort sein?«
»In etwa dreißig Stunden, also morgen Abend.«
»Danke. Dann mache ich mich besser gleich auf den Weg. Es gilt schließlich noch etwas Vorarbeit zu leisten. Paladin Alecander wird dir übrigens in Kürze alles übermitteln, was er über die
Hephaistos
weiß. Hoffentlich hilft es dir.«
»Ja, hoffen wir es.«
Carya zögerte. Als sie weitersprach, war ihre Stimme ein Flüstern, so als seien ihre Worte bloß noch für ihn bestimmt.
»Pass auf dich auf, Jonan.«
Jonan warf einen Blick über die Schulter. Paladin Alecander, der hinter ihm aufragte wie ein metallener Berg, verstand den Wink und drehte sich um. »Du auf dich auch, Carya«, erwiderte Jonan leise. »Viel Glück – und denk immer daran: Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch. Und ich will dich nicht verlieren.«
»Deshalb lass uns beide heil aus dieser Sache herauskommen. Dann fahren wir mit Pitlit und Elje zu deinen Eltern, öffnen eine Flasche Wein und feiern, dass wir überlebt haben und wieder zusammen sind.«
»Ja … das würde mir gefallen. Carya Ende.«
Mit einem Knacken in der Leitung wurde die Verbindung unterbrochen. Jonan erhob sich und nickte den Anwesenden ernst zu. »Alles ist in die Wege geleitet. Jetzt bleibt mir nur noch aufzubrechen.«
»Sehr gut«, sagte Alecander.
»Ich brauche ein Fahrzeug, am besten ein schnelles Motorrad.«
»Nehmen Sie einen meiner gepanzerten Motorwagen«, bot ihm der Mondkaiser an. »Ich werde Capitaine Rochefort vom Pass rufen lassen. Er wird Sie fahren. Ich denke, seine Fahrkünste dürften Ihre Reise merklich beschleunigen.«
Jonan grinste. »Ja, das wäre möglich.« Wie er seit ihrem gemeinsamen Ausflug in die Trümmerzone von Paris wusste, pflegte der Leibwächter des Mondkaisers einen ziemlich rasanten Fahrstil. Vielleicht kam er deshalb immer dann zum Einsatz, wenn Eile geboten war. »Bitte schickt ihn zum Lazarett, sobald er eintrifft. Ich habe dort noch kurz etwas zu erledigen.«
»Ich werde Entsprechendes veranlassen.«
»Außerdem …«, Jonan sah an sich hinab, »… sollte ich mich wohl umziehen, denn es mag nicht die klügste Vorgehensweise sein, in einer francianischen Uniform die Grenze zur Machtsphäre des Lux Dei zu überschreiten. Nicht jeder dort weiß, dass wir jetzt Verbündete sind.«
»Eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme«, pflichtete ihm der Kaiser bei. »Ich werde auch Capitaine Rochefort anweisen, Zivilkleidung zu tragen.«
»Vielen Dank.«
Im Lazarett herrschte – milde ausgedrückt – geschäftiges Treiben. Der erste Angriff auf die Verteidigungsstellungen der Erdenwacht hatte nicht nur viele Todesopfer gefordert, sondern auch zahlreiche Verletzte zur Folge gehabt. Doktor Bramante und sein Stab hatten alle Hände voll zu tun, und Jonan musste aufpassen, den umhereilenden Ärzten und Krankenschwestern nicht in die Quere zu kommen, als er nach Elje suchte.
Er fand das Mädchen schließlich in einer Ecke, wo es schmutzige und blutige Verbände in kaltem Seifenwasser auswusch. Genau wie ihrem Vater, als dieser Jonan behandelt hatte, ging sie auch den Leuten hier mit stiller Gewissenhaftigkeit zur Hand. Einmal mehr staunte Jonan über Elje. Kaum ein Kind ihres Alters hätte auch nur einen Fuß in eine Halle voller verwundeter, vor Schmerzen stöhnender Menschen gesetzt. Doch sie versuchte sogar, sich nützlich zu machen.
»Elje«, begrüßte er sie und ging neben ihr in die Hocke.
Das Mädchen ließ die Verbände sinken und drehte den Kopf. Als Elje ihn erkannte, hellten sich ihre Züge auf. Die nassen Stoffstreifen noch in den Händen, schlang sie ihm die Arme um den Hals und drückte ihr Gesicht an das seine. Verlegen erwiderte er die Umarmung. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht sofort nach seiner Rückkehr ins Lager bei ihr gemeldet hatte. Offenbar hatte sie sich wirklich Sorgen um ihn gemacht.
»Alles ist gut, Elje. Ich bin ja wieder da.« Er schob sie ein wenig von sich und betrachtete sie lächelnd. »Wie ich sehe, trägst auch du deinen Teil zu unserem Kampf bei.«
Sie nickte.
»Ich bin stolz auf dich«,
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