Das geraubte Paradies
riesige schwarze Gestalt vor ihr hinzusprang und die starken Arme ausbreitete, die Arme, die sie immer beschützt hatten. Sie sank hinein, denn ihr fehlte die Kraft, sich noch selbst aufrecht zu halten.
»Sanitäter …«, brüllte jemand.
»Nehmen Sie ihn fest«, donnerte eine weibliche Stimme.
Gedämpft hörte Carya weitere Schüsse knallen. Sie wandte den Kopf und sah, dass Viktor Eins mit eiskalter Präzision die Wachleute niederstreckte, die auf Dymond und ihn zuliefen.
Und dann entdeckte Carya etwas anderes, etwas, das die letzten Reste ihrer schwindenden Sinne auf sich zog. Hinter dem gewaltigen Bauwerk des Ratsgebäudes, in der Lücke zwischen der Doppelpyramide gut zu sehen, stieg langsam und majestätisch ein glänzender, silberweißer Körper in den Himmel auf. Der Schein der Abendsonne tauchte ihn einen Moment in Rot und Orange, dann wurde die gleißend helle Triebwerksflamme sichtbar, die alles andere Licht überstrahlte.
Die alles auslöschte.
Carya versank in Finsternis.
EPILOG
Das Erste, was Carya wahrnahm, als sie wieder zu sich kam, war das rhythmische Piepen unweit ihres Kopfes. Diesmal wusste sie, was es bedeutete.
Krankenhaus
, dachte sie.
Ich bin im Krankenhaus. Das heißt, ich habe überlebt. Oh, Licht Gottes, danke …
Vorsichtig schlug sie die Augen auf. Wieder lag sie in einem der wundervoll weichen Betten, und auch der Raum selbst unterschied sich kaum von dem letzten, in dem sie nach ihrer Ankunft im Tal der Erdenwacht aufgewacht war: mintgrüne Wände, steril sauber, zahlreiche fremdartige Apparate um sie herum.
Der einzige Unterschied war die vollkommen übernächtigt wirkende Gestalt, die in einen einfachen hellblauen Overall gekleidet neben ihrem Bett saß und ihre rechte Hand hielt. »Jonan«, flüsterte Carya glücklich und streichelte kraftlos seine Finger.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Jonan merkte, dass sie bei Bewusstsein war und ihn angesprochen hatte. »Carya?« Mit einem Schlag war er hellwach, und ein erleichtertes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Oh, Carya, du bist wieder bei uns! Ich bin so froh, zu sehen, dass du wach bist.« Er beugte sich vor, und bevor Carya auch nur einen weiteren Ton von sich geben konnte, hatte er ihr Gesicht mit den Händen umfasst und küsste sie stürmisch.
Carya schloss die Augen und gab ein behagliches Seufzen von sich. In die Taubheit, die einen Großteil ihres Körpers erfasst hatte und vermutlich irgendwelchen Schmerzmitteln geschuldet war, mischte sich eine ganz besondere Wärme. »Noch mal«, flüsterte sie, als sich ihre Lippen voneinander lösten. Jonan lächelte und sah sie liebevoll an. Diesmal war der Kuss sanfter und dauerte länger.
Die Tür öffnete sich, und jemand kam herein. »Oh«, sagte eine Stimme, die Carya Doktor Freeman zuordnete. »Wie ich merke, geht es der Patientin besser. Ich komme später wieder, um nach ihr zu sehen.«
Jonan löste sich von Carya. »Nein, Doktor«, sagte er. »Ist schon in Ordnung.« Er erhob sich von seinem Stuhl. »Ich sage mal schnell Pitlit und Elje Bescheid. Sie werden sich über die guten Neuigkeiten bestimmt freuen.« Er drückte ein letztes Mal Caryas Hand, dann ging er nach draußen.
Freeman trat an ihr Bett, einen kleinen tragbaren Rechner in der Hand, auf dem er irgendwelche Werte zu überprüfen schien. Dann blickte er sie zufrieden an. »Willkommen zurück in der Welt der Lebenden«, sagte er. »Es tut gut, dich wohlauf zu sehen.«
»Was ist passiert?«, fragte Carya. Sie blickte an sich hinab und bemerkte einen Verband, der sich direkt unterhalb ihrer Brust spannte.
Der greise Wissenschaftler hob die Augenbrauen. »Nun ja, ich würde sagen, Oberst Dymond ist verrückt geworden. Sein Schießhund – der einzige Invitro, von dem ich mir wünschte, er hätte nie das Licht der Welt erblickt – hat drei Leute getötet und fünfzehn weitere verletzt, darunter dich, bevor er und Dymond überwältigt werden konnten. Die beiden wurden inhaftiert.«
»Und die Rakete?« Mit Schaudern dachte Carya an das letzte Bild, das ihr vor Augen gestanden hatte, bevor sie ohnmächtig geworden war. »Sie ist doch gestartet. Hat sie …?«
Freeman schmunzelte und schüttelte den Kopf. »Nein. Hat sie nicht.«
»Aber wie …?«
»Nun, es ist möglich, dass jemand einen gewissen Starttechniker davon überzeugen konnte, eine subtile Änderung der Zielkoordinaten einzuspeisen.« Der Wissenschaftler warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Die Rakete ist über ihr Ziel
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