Das geraubte Paradies
erwischt, als er versucht hat, sich nach der Landung vor dem Krankenhaus aus unserer Flugmaschine zu schleichen.« Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. »Erstaunlich genug, dass es ihm gelungen ist, sich überhaupt darin zu verstecken. Vermutlich hat er sich hineingestohlen, als unsere Leute dich auf dem Pass erstversorgt haben.«
»Und Jonan?«
Der Mann musterte sie ernst. »Tut mir leid. Er hat es nicht geschafft. Er hat auf uns geschossen, und wir mussten uns verteidigen.«
Carya spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. »Was … Sie … Er ist tot?« Sie hasste sich dafür, aber auf einmal klang ihre Stimme wie erstickt. »Das kann nicht wahr sein … Das
darf
nicht wahr sein …«
Ihr Gegenüber sagte nichts.
»Kann ich ihn sehen?«, wollte Carya wissen.
»Bedaure, ich fürchte, der Pilot hat ihn am Pass zurückgelassen. Er musste sich um dich kümmern. Wir haben aber das Templersturmgewehr geborgen.«
»Nein …« Caryas Blick verschleierte sich, und sie drehte den Kopf weg, weil sie nicht wollte, dass der Mann ihre Tränen sah. »Jonan.« Sie konnte es einfach nicht glauben, wollte es nicht glauben. Jonan, ihr geliebter Jonan, der vom ersten Tag ihres neuen Lebens an ihr Beschützer, Freund und Gefährte gewesen war, sollte plötzlich fort sein? Bei einem absurden Kampf auf einem einsamen, öden Pass hoch oben in den Bergen erschossen?
Eine Flut von Bildern brach über sie herein. Jonan in seiner Templerrüstung, wie er sie in der Gasse hinter ihrem Elternhaus in Arcadion vor dem brutalen Burlone rettete. Ihre erste gemeinsame Nacht im Lagerhaus seines Vaters. Ihr Kuss auf dem Dach im Dorf der Ausgestoßenen. Die Stunden inniger Liebe in ihrem Gemach auf Château Lune. Das alles sollte nun vorbei sein? Jonan sollte tot sein, und sie würde ihn niemals wiedersehen?
Das durfte nicht wahr sein!
Vielleicht lügt er
, ging es ihr durch den Kopf.
Vielleicht will er mich bloß in Verzweiflung stürzen, damit ich nicht an Flucht oder Widerstand denke, sondern mich ihm und seinen Leuten ergebe?
Andererseits hatte er es nicht nötig, zu lügen. Carya war ihm so oder so ausgeliefert. Außerdem mochte er vielleicht ein wenig grob wirken, aber tatsächlich behandelte er sie nicht im Geringsten wie eine Gefangene. Seine Leute und er hatten sie gerettet, so viel stand fest. Gut, zuerst hatten sie auf Jonan, Pitlit, Elje und sie geschossen – und sosehr sie darauf erpicht sein mochten, dass niemand erfuhr, was sich in der Schwarzen Zone befand, musste man schon ziemlich skrupellos sein, um auf eine unbewaffnete Frau und zwei Kinder zu feuern. Und dass die Schießwütigen oben auf dem Pass zu ihrem Gegenüber gehörten, hatte er mittlerweile ja bestätigt. Also war auch er irgendwie mit für Jonans Tod verantwortlich.
Als Carya dies erkannte, wallte Zorn in ihr auf, eine kalte Wut, an die sie sich klammerte, um nicht zu einem heulenden Häufchen Elend zusammenzubrechen. »Sie!«, fuhr sie ihren Besucher an. »Sie haben ihn umgebracht! Warum haben Sie auf uns geschossen? Wir haben Ihnen nichts getan, sondern wollten nur diesen Pass überqueren, um nach Hause zu gelangen!«
Die Miene des Mannes verhärtete sich. »Erzähl mir nicht solchen Unsinn«, erwiderte er scharf. »In den letzten Jahrzehnten hat kein Mensch diesen Pass zufällig genommen. Alle wissen, dass in der Schwarzen Zone der Tod wartet, weil hier zur Zeit des Sternenfalls ein Experiment katastrophal schiefgelaufen ist. Der Zugang zur Passstraße liegt in einer der abgelegensten Regionen von Francia, alle Wege sind unbefahrbar. Und ich habe noch nie von jemandem gehört, der über die Berge, statt an der Küste von Südfrancia entlang, ins Arcadische Reich gereist wäre. Also, was zum Teufel hattet ihr oben auf dem Pass verloren?«
»Wir haben uns verlaufen«, schrie Carya. »Wir hatten eine alte Karte, die besagte, dass wir den Weg abkürzen könnten, wenn wir uns eng am Gebirge halten. Aber dann sind wir in dichten Nebel geraten und irgendwo falsch abgebogen.«
»In deinen Sachen gab es keine Karte«, hielt der Mann dagegen. »Nur ein paar alte Ansichtskarten – und du willst mir doch nicht erzählen, dass ihr euch daran orientiert habt?«
»Doch, das will ich. Außerdem hatten wir noch eine richtige Karte, aber …« Sie stockte.
Jonan.
Der Gedanke nahm die Wucht aus ihrem verbalen Angriff. »Jonan hatte sie in seiner Tasche«, fuhr sie etwas leiser fort. »Fliegen Sie doch zum Pass zurück und schauen Sie nach, wenn Sie mir nicht
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