Das Geschenk der Wölfe
aber …»
«Desaströs», wiederholte Nideck und ignorierte Simon. Er schien sehr besorgt zu sein. «Es tut mir leid, das zu hören.»
«Nun, es lag daran», erklärte Reuben, «dass dieser Mann – Marrok hieß er – etwas gegen meine Anwesenheit in dem Haus hatte. Auch von meiner Beziehung mit Marchent Nideck hielt er nichts. Aber es gab noch mehr, was ihm nicht gefiel.» Warum drückte er sich so vage aus? Er musste deutlicher werden! «Er war ziemlich wütend über … die aktuellen Entwicklungen. Er fand mich unwürdig und geriet darüber furchtbar in Rage. Aber nun ist er ja weg. Verschwunden. Er wird keine Gelegenheit mehr haben, diesen Brief zu lesen.»
Simon räusperte sich und wollte wieder eingreifen, aber Reuben machte eine beschwichtigende Geste.
Sein Gegenüber musterte ihn aufmerksam, sagte aber nichts. Er schien geradezu schockiert zu sein.
«Ich dachte, Sie seien vielleicht derjenige, der diesen Brief geschrieben hat», fuhr Reuben fort. «Und dass Marrok auf Ihren ausdrücklichen Wunsch zu mir kam.»
«Dann sollten wir uns diesen Brief vielleicht einmal ansehen», sagte Simon.
Nideck zog den Brief aus dem Umschlag und sagte: «Ja, ich habe ihn geschrieben. Aber ich verstehe nicht, warum er eine unerfreuliche Begegnung ausgelöst haben sollte. Das war keineswegs meine Absicht. Ich hatte lange keinen Kontakt mit Marrok und wollte ihm in diesem Brief mitteilen, dass ich von Marchents Tod gehört habe und in Kürze herzukommen beabsichtigte.»
Reuben hatte das Gefühl, dass er die Wahrheit sagte. Trotzdem hörte sein Herz nicht auf, wie wild zu schlagen.
«Was diesen Mann betrifft …», begann Hammermill.
Ohne den Blick von Nideck abzuwenden, fuhr Reuben fort: «Ich hatte aber den Eindruck, dass Sie schon früher Kontakt mit ihm hatten und dass er in Ihrem Auftrag handelte.»
«Verstehe», sagte Nideck leise und runzelte die Stirn, bevor er sich wieder entspannte. «Aber ich versichere Ihnen, dass er nicht in meinem Namen gehandelt hat.»
«Dann bin ich ja erleichtert», sagte Reuben und merkte, dass er zitterte und schwitzte. «Denn mit diesem Marrok konnte man nicht vernünftig reden. Er war auf Konfrontation aus.»
Unbewegt nahm Nideck diese Aussage zur Kenntnis.
Simon legte Reuben die Hand auf den Arm, aber der ignorierte ihn und dachte darüber nach, wie er es schaffen konnte, noch deutlicher zu werden.
«Und Sie sagen, jetzt ist er verschwunden?», fragte Nideck.
«Spurlos verschwunden», bestätigte Reuben. «Er hat sich in Luft aufgelöst, wie man so sagt.» Mit den Händen machte er eine Bewegung, als ließe er Rauch aufsteigen.
Ihm war klar, dass die Anwälte nichts von alledem verstanden, aber entscheidend war, dass Nideck ihn verstand.
Der saß so ruhig und freundlich da wie zuvor.
«Ich fühlte mich angegriffen», sagte Reuben. «Das gilt auch für meine Partnerin. Ich liebe diese Frau. Ich konnte nicht zulassen, dass sie unter meinem Dach angegriffen wird. Ich habe getan, was ich tun musste.»
Wieder wollte Simon protestieren, und auch Arthur Hammermill war drauf und dran, seinen Unmut zu äußern.
Dieses Mal war es Nideck, der sie mit einer Geste zum Schweigen brachte.
«Verstehe», sagte er und sah Reuben in die Augen. «Es tut mir wirklich leid. Das alles war so nicht vorgesehen.»
Ohne Vorwarnung nahm Reuben Marroks goldene Uhr aus der Tasche und schob sie über den Tisch. «Das hier hat er hinterlassen.»
Nideck sah die Uhr lange an, bevor er sie nachdenklich an sich nahm. Er betrachtete sie von vorne und hinten und seufzte. Sein Blick verfinsterte sich, und er wirkte enttäuscht.
«Armer Haderlump», sagte Nideck leise, den Blick immer noch auf die Uhr gerichtet. «Dein Weg ist zu Ende.»
«Was heißt das – Haderlump?», fragte Hammermill. Das Gespräch war so aus dem Ruder gelaufen, dass er ganz blass war.
«Schuft», sagte Reuben. «Es ist ein altes österreichisches Wort für Schuft.»
Nidecks Augen blitzten vergnügt auf, und er lächelte Reuben kurz an, aber dann wurde er wieder ernst und blickte erneut auf die Uhr.
«Tut mir wirklich leid», flüsterte er. Dann steckte er die Uhr in die Tasche, schob den Brief in den Umschlag zurück und steckte auch ihn ein. «Bitte entschuldigen Sie meine exzentrische Ausdrucksweise. Ich spreche einfach zu viele Sprachen und habe zu viele alte Bücher gelesen.»
Die Anwälte warfen einander gereizte Blicke zu.
Doch Reuben hatte noch mehr zu sagen.
«Jemand in meiner Situation erregt leicht Anstoß»,
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