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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Auch der Müll, der überall auf dem Hof herumlag, war jetzt besser zu sehen.
    Reuben sprang über einen Zaun und eilte geräuschlos durch die Dunkelheit. Als er den nächsten Wald erreichte, ließ er sich auf alle viere nieder und lief weiter, Kilometer um Kilometer, bis zu der Stelle, wo sein Porsche unter den Bäumen stand.
    Es war Zeit für die Rückverwandlung.
    Verlasse mich jetzt, du weißt, was ich brauche! Gib mir meine alte Gestalt zurück.
    Er hockte sich neben den Wagen und kam langsam wieder zu Atem. Er wusste mittlerweile, dass er die Krämpfe am besten überstand, wenn er sich nicht dagegen wehrte. Das dichte Wolfsfell zog sich zurück. Die Wunden in seiner Brust schmerzten, und dort blieb das blutverklebte Fell stehen. Auch die Wunde über seinem rechten Auge blieb von dickem Fell bedeckt. Seine Klauen wurden kleiner und verschwanden schließlich ganz. Mit langen, schwieligen Fingern betastete er seine Wunden und zupfte an dem Haar, das sie bedeckte. Seine nackten Beine waren schwach, und unsicher stand er auf den nackten Füßen. Als er die Wagentür öffnen wollte, verlor er das Gleichgewicht und fiel auf die Knie.
    Sofort war Laura bei ihm und hielt ihn fest. Dann half sie ihm auf den Beifahrersitz. Die verbleibenden Fellflecken verliehen ihm ein monströseres Aussehen, als wenn er vollständig verwandelt war, aber das Blut war bereits zu einer dicken Glasur geronnen. Immer noch brannte seine Haut an diesen Stellen, aber gleichzeitig verbreitete sich auf seinem Kopf das angenehme Gefühl, als würde er sanft massiert.
    Laura fuhr Richtung Freeway, und er zog Hemd und Hose wieder an. Die Hand auf die Brustwunden gelegt, spürte er, wie sich auch dort das dicke Wolfsfell zurückzog und dann abfiel, bis nur das weiche Unterfell blieb. Von der Stirnwunde hatte sich das Fell bereits vollständig gelöst.
    Um ihn herum wurde alles dunkel, und er war der Ohnmacht nahe. Er versuchte dagegen anzukämpfen, aber sein Kopf rollte zur Seite und schlug ans Seitenfenster. Er stöhnte auf.
    Sirenen, schrill und bedrohlich nah. Aber der Porsche war schon wieder auf dem Freeway in nördlicher Richtung. Laura beschleunigte, überholte die anderen Wagen und erreichte schließlich Höchstgeschwindigkeit.
    Reuben lehnte sich zurück und beobachtete sie. Sie war vollkommen ruhig und konzentrierte sich aufs Fahren.
    «Reuben?», sagte sie nach einer Weile, ohne den Blick vom Verkehr abzuwenden. «Bleib wach, sprich mit mir! Alles in Ordnung?»
    «Ja, keine Sorge.» Er zitterte, als hätte er Schüttelfrost. Sogar seine Zähne klapperten. Das Fell über den Brustwunden hatte sich zurückgebildet, und auch die Wunden selbst waren verschwunden. Seine Haut kribbelte. Lustvolle Schauer durchfluteten seinen Körper und ermüdeten ihn. Der Geruch des Todes hing noch an ihm und erinnerte ihn an den Jungen, der so sinnlos gestorben war.
    «Ich habe etwas Schreckliches getan», sagte er leise.
    «Was denn?», fragte Laura. Vor und hinter ihnen herrschte dichter Verkehr, der sich aber nicht staute. Sie ließen Santa Rosa hinter sich.
    Reuben schloss die Augen. Er hatte keine Schmerzen mehr, nur ein leichtes Pulsieren ließ ihn noch spüren, wo die Wunden gesessen hatten.
    «Etwas ganz Schreckliches, Laura», flüsterte er so leise, dass sie ihn nicht hören konnte. Er sah den Jungen auf sich zukommen, das blasse, flehende, blutende Gesicht, umgeben von blondem Haar, die Augen schreckhaft aufgerissen, seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut heraus.
    Wieder drohte Reuben die Dunkelheit zu verschlucken. Dieses Mal wehrte er sich nicht dagegen. Der Ledersitz war weich, das Fahrgeräusch schläferte ihn ein, und er überließ sich dem Schlaf.

[zur Inhaltsübersicht]
    30
    D as helle Licht der Diele irritierte ihn, und die Heizung war zu warm. Die Luft kam ihm abgestanden und muffig vor, und er fühlte sich so beengt, als müsse er ersticken.
    Schnell ging er in die Bibliothek und rief im Clift Hotel in San Francisco an. Er musste Felix sprechen. Scham und Reue nagten an ihm. Nur Felix konnte ihm jetzt helfen. Es ging ihm so miserabel, dass er keine Ruhe finden würde, bevor er Felix seine Untat gestanden hatte. Achtlos hatte er das Chrisam weitergegeben.
    Der Rezeptionist sagte, Felix sei bereits am Nachmittag abgereist. Dann fragte er, wer der Anrufer sei. Reuben wollte schon verzweifelt auflegen, schöpfte aber neue Hoffnung bei dem Gedanken, Felix könnte ihm eine Nachricht hinterlassen haben. Und tatsächlich!
    «Ich soll

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