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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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springen drohte, falls man ihm nicht sein Handy und seinen Computer wiedergebe. Außerdem streite er sich jeden Tag mit seiner Mutter, die verlangte, dass er seinen Stiefvater von jeglicher Schuld freispräche. Er sagte, er höre Stimmen und wisse, was in den umliegenden Gebäuden vor sich gehe. Alles in allem sei er ungeduldig, leicht erregbar und unkooperativ. Vor seinem Stiefvater habe er Angst, weniger um seinetwillen, sondern weil der Mann seine Mutter schlage. Häufiger als wünschenswert müsse man ihn medikamentös ruhigstellen.
    «Seine Mutter ist eine schreckliche Frau», sagte Grace. «Sie ist eifersüchtig auf ihn und macht ihn dafür verantwortlich, dass der Stiefvater sie schlägt. Der Junge begreift nicht, wie kindisch sie sich verhält. Ich kann das gar nicht mit ansehen.»
    «Ja, ich erinnere mich an sie», murmelte Reuben.
    Doch auch Grace verbot ihm, den Jungen zu besuchen. Niemand dürfe zu ihm. Es sei schon schwer genug, Polizei und Staatsanwaltschaft von ihm fernzuhalten. Wie solle sie da für Reuben eine Ausnahme machen?
    Im Laufe der Woche kamen wieder viele Reporter nach Kap Nideck und verlangten Auskunft. Geduldig saß Reuben vor dem Kamin und erklärte, er habe «das Biest» nicht sehen können, das ihn angegriffen hatte, und immer wieder führte er die Leute in den Hausflur, wo das Unglück geschehen war, und zeigte ihnen, welche Fensterscheiben eingeschlagen worden waren. Dann zogen sie wieder ab, aber am nächsten Tag kamen neue – manchmal auch dieselben – und stellten die gleichen Fragen.
    Reuben hasste das. Er fühlte sich ihnen hilflos ausgeliefert, aber er wollte niemanden vor den Kopf stoßen und gab sich Mühe, die immer gleichen Fragen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu beantworten, obwohl ihm dabei mehr als mulmig war. Im Allgemeinen herrschte bei den Interviews ein freundlich-professioneller Ton, aber dennoch war es eine wahre Plage.
    Auch das Krankenhaus in Santa Rosa wurde von den Medien belagert. Unter Stuarts ehemaligen Mitschülern hatte sich ein regelrechter Fanclub formiert, der sich tagtäglich vor dem Krankenhaus versammelte und lautstark forderte, dass der Mörder zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Zwei aufgebrachte Nonnen mischten sich unter die Gruppe und beschwerten sich darüber, dass sich der Wolfsmensch von San Francisco mehr für den Schutz von Homosexuellen engagiere als für die allgemeine Bevölkerung.
    In den frühen Abendstunden patrouillierte Reuben, mit Kapuzenshirt und Sonnenbrille getarnt, um das Krankenhausgelände, horchte auf alle Geräusche und befürchtete das Schlimmste. Einmal glaubte er Stuart am Fenster des Krankenzimmers zu sehen. Konnte der Junge ihn hören? Er flüsterte, dass er da sei, ihn nicht alleinlassen und auf ihn warten würde.
    «Der Junge wird nicht sterben», beruhigte Grace ihn. «Das ist nicht das Problem. Aber ich muss der Sache auf den Grund gehen und herausfinden, was ihm eigentlich fehlt. Langsam wächst es sich zu einem regelrechten Spleen bei mir aus.»
    Ja, und zwar zu einem gefährlichen, dachte Reuben. Das Wichtigste für ihn war aber, dass Stuart überlebte, und diesbezüglich war er bei Grace sicherlich in den besten Händen.
    Mit dem ominösen Dr. Jaska hatte sie sich inzwischen zerstritten, aber sie wollte Reuben nicht sagen, warum. Sie verriet ihm nur, dass er Theorien entwickelte, die ihr missfielen.
    «Weißt du, er hat ein paar merkwürdige Vorstellungen», sagte sie zu Reuben. «Er glaubt an irgend so ein mysteriöses Zeugs und ist davon regelrecht besessen. Sollte er versuchen, mit dir Kontakt aufzunehmen, wimmle ihn bitte ab!»
    «Mach ich», sagte Reuben.
    Trotzdem war Jaska oft in Stuarts Nähe und verwickelte Grace in endlose Gespräche über die Begegnung des Jungen mit dem Wolfsmenschen, was sie immer misstrauischer machte. Außerdem forderte er immer wieder, den Jungen in das fragwürdige Krankenhaus in Sausalito zu verlegen, von dem lediglich in Erfahrung zu bringen war, dass es sich um ein privat betriebenes Reha-Zentrum handelte.
    «Aber da besteht keine Gefahr», sagte Grace. «Stuarts Mutter ist völlig gleichgültig, was mit ihrem Sohn passiert, und sie vermeidet alles, was irgendwie mit Aufwand verbunden ist.»
    Trotzdem machte Reuben sich große Sorgen und fuhr in die südlichen Stadtteile von Santa Rosa, wo Stuarts Mutter in einem großen Haus aus Redwoodholz und Glas in der Plum Ranch Road residierte.
    Ja, sie erinnere sich daran, ihn im Krankenhaus gesehen zu haben. Er sei ihr

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