Das Geschenk der Wölfe
aufgefallen, weil er so gut aussehe, er solle doch hereinkommen. Nein, sie mache sich keine Sorgen um Stuart, schließlich kümmerten sich so viele Ärzte um ihn, dass sie gar nicht wisse, was sie mit denen die ganze Zeit besprechen solle. Obwohl … diesen einen da, so ein ausgeflippter Russe, Dr. Jaska, mit dem würde sie gern mal sprechen, aber Dr. Golding und Dr. Cutler verböten es ihr. Dieser Dr. Jaska wolle offenbar, dass Stuart in ein Sanatorium verlegt werde, aber sie habe keine Ahnung, warum.
Irgendwann im Laufe des Interviews, das eigentlich gar keins war, kam Stuarts Stiefvater, Herman Buckler, herein, ein kleiner, drahtiger Mann mit grotesken Zügen und dunklen Augen. Das blonde Haar war stoppelkurz geschnitten, seine Haut sonnengebräunt. Er wollte nicht, dass seine Frau mit Reportern sprach, und es machte ihn wütend, wenn sie es trotzdem tat.
Reuben musterte ihn reserviert. Die Aura von Bösartigkeit, die ihn umgab, war noch ausgeprägter als bei Dr. Jaska, und Reuben konnte sie förmlich riechen. Bucklers Gegenwart war für ihn schwer zu ertragen, aber trotz seiner aggressiven Aufforderungen zu gehen, blieb er, solange er konnte, um sich einen Eindruck von dem Mann zu verschaffen.
Er war von Hass und Wut regelrecht zerfressen und sagte, Stuart habe ihm das Leben zur Hölle gemacht. Seine Frau hatte furchtbare Angst vor ihm und tat alles, um ihn zu besänftigen, entschuldigte sich für alles, was geschehen war, und forderte Reuben schließlich ihrerseits auf zu gehen.
Reuben spürte, wie die Krämpfe begannen. Abgesehen von einem leichten Ziehen bei der Begegnung mit Dr. Jaska war es das erste Mal, dass es am helllichten Tag passierte. Im Hinausgehen behielt er Buckler im Auge.
Er blieb eine Weile in seinem Porsche sitzen, blickte auf den Wald hinter dem großen Haus und wartete ab, bis die Krämpfe nachließen. Der Himmel war blau. Es war eine schöne Gegend, das kalifornische Weinanbaugebiet, das bei schönem Wetter seinen ganzen Charme entfaltete. Eigentlich ein wunderbarer Ort für eine Kindheit.
Die Krämpfe waren nicht besonders stark geworden. Er hatte sie beherrscht und fragte sich, ob er vielleicht sogar schon so weit war, willentlich eine Verwandlung bei Tageslicht herbeizuführen. Er war sich nicht sicher. Sicher war er sich hingegen, dass Herman Buckler in der Lage war, seinen Stiefsohn zu töten. Auch Stuarts Mutter wusste es, obwohl sie es nicht wahrhaben wollte. Sie stand vor der schier unlösbaren Aufgabe, sich zwischen Sohn und Mann zu entscheiden.
Was seine Verwandlungen betraf, war Reuben sich mittlerweile sicher, dass er sie nachts vollkommen unter Kontrolle hatte.
In den ersten drei Nächten nach seinem Besuch bei Stuart konnte er eine Verwandlung verhindern, aber obwohl er darüber froh war, spürte er, wie unausgeglichen und unzufrieden es ihn machte. Es war wie eine selbstauferlegte Fastenzeit, in der ihm bewusst wurde, dass zur Selbsterhaltung mehr als Essen und Trinken gehörten.
Danach hatte er sich bei der Verwandlung stets in den Wäldern hinter Kap Nideck aufgehalten, war auf die Jagd gegangen und umhergestreift, hatte die Bachläufe seines Grundstücks erkundet und die ältesten Bäume erklommen, auf die er sich wegen ihrer enormen Höhe bislang nicht getraut hatte. Eines Nachts hatte er entdeckt, dass ein Bär in einem brandgeschädigten Baum in etwa zwanzig Meter Höhe überwinterte. Außerdem hatte er eine große, junge Wildkatze entdeckt, bei der es sich wahrscheinlich um ein Junges der Berglöwin handelte. Es gab auch Rotwild, das er aber nicht anfallen wollte. Lieber hielt er sich an fette Eichhörnchen, Ratten und Mäuse, Biber und Maulwürfe, aber auch an überraschend zartfleischige Reptilien wie Salamander, Nattern und Frösche. Am meisten genoss er das Fischen im Bach, und schon bald konnte er seine gewaltigen Pranken so geschickt einsetzen, dass er die wendigsten und schleimigsten Fische fangen konnte. Hoch oben im dichten Blätterdach riss er Eichelhäher und Zaunkönige, auch wenn sie mitten im Flug waren, und verschlang sie ungerupft, solange ihre Herzen noch schlugen. Genauso machte er es mit Spechten, Ammern und Drosseln.
Nichts kam ihm selbstverständlicher vor, als sich seine Beute einzuverleiben, es war genauso selbstverständlich wie das Töten selbst. Gern hätte er den Bären aus dem Winterschlaf geweckt, um herauszufinden, ob er ihn besiegen konnte, aber da es ihm unfair vorkam, verzichtete er darauf.
Im nördlichen Teil des
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