Das Geschenk der Wölfe
der Wolfsmensch durchs Fenster in ihr Zimmer sprang, hatte sich inzwischen so weit erholt, dass sie Interviews gab. Mutig sagte sie vor laufender Kamera, man solle den Wolfsmenschen am Leben lassen, wenn er eingefangen würde, man dürfe ihn nicht als eine wilde Bestie betrachten und sie sei gern bereit, ihr ganzes Geld für seine Sicherheit und Pflege zur Verfügung zu stellen, wenn er gefunden würde. Auch Susan Larson aus North Beach, die als Erste mit dem Wolfsmenschen in Kontakt gekommen war, machte sich dafür stark, ihn gut zu behandeln, wenn man seiner habhaft würde. Sie bezeichnete ihn als «edlen Wolf», weil er so vorsichtig und rücksichtsvoll mit ihr umgegangen sei.
Es bildeten sich online regelrechte Fanclubs des Wolfsmenschen, und ein berühmter Rockmusiker schrieb «Die Ballade vom Wolfsmenschen». Auch andere Musiker arbeiteten an Songs über ihn. Es gab eine Wolfsmenschen-Seite bei Facebook und einen Gedichtwettbewerb über ihn bei YouTube. Fanartikel wie T-Shirts mit seinem vermeintlichen Konterfei waren Verkaufsschlager.
Gegen Ende der Woche rief Simon Oliver an, um mitzuteilen, dass sämtliche Dokumente zur Überschreibung der Besitztitel von Kap Nideck zur Unterschrift bereitlägen. Reuben bedankte sich, fühlte sich aber unwohl.
Was war mit Felix? Es war doch der eine, der wahre Felix, den er bei seinem Anwalt kennengelernt hatte! Gehörte das Haus nicht ihm?
«Daran lässt sich jetzt nichts ändern», sagte Laura. «Ich finde, du solltest die Dokumente unterschreiben und den Besitzerwechsel rechtskräftig werden lassen. Du weißt doch, dass es für Felix keine Rechtsgrundlage gibt, dieses Haus für sich zu beanspruchen. Er will und kann keinen DNA -Test durchführen lassen, der irgendetwas beweisen könnte, weder seine Verwandtschaft mit Marchent noch dass er selbst der wahre Felix Nideck ist. Fürs Erste gehört das Haus dir.»
Der Besuch bei den Notaren war kurz. Sie sagten, es sei ungewöhnlich, dass so etwas so schnell über die Bühne ginge, aber in diesem Fall sei es einfach gewesen, weil das Haus immer nur einer einzigen Familie gehört hatte und der Nachlass eindeutig geregelt war. Reuben unterschrieb an den dafür vorgesehenen Stellen.
Nun gehörte Kap Nideck ihm. Die fällige Liegenschaftssteuer bezahlte er im Voraus bis Ende des kommenden Jahres. Versicherungsfragen waren bereits geregelt.
Reuben fuhr mit Laura nach Mill Valley, damit sie ihren Jeep und ihre restlichen Sachen abholen konnte. Es war so wenig, dass er staunte, aber sie sagte, mehr brauche sie nicht.
Endlich rief Grace an und sagte, Stuart könne am nächsten Dienstag wahrscheinlich wieder Besuch empfangen. Seit zwei Tagen sei er fieberfrei, der Hautausschlag und die Ohnmachtsanfälle seien vorbei. Seine Wunden seien vollständig verheilt und er habe an Größe und Gewicht gewonnen.
«Alles ging beinahe schneller als bei dir, Reuben», sagte sie. «Und genau wie du damals ist er nicht mehr so aufgekratzt, sondern eher in sich gekehrt.»
Sie bat Reuben, ihn zu besuchen und mit ihm zu reden. Der Junge wolle nach Hause, nach San Francisco. Seine Mutter wolle ihn ohnehin nicht mehr in ihrem Haus in Santa Rosa haben, weil sie Angst hatte, was der Stiefvater womöglich anstellen würde. Auch Grace war dafür, den Jungen seinem Zugriff zu entziehen.
«Außerdem ist es für mich viel einfacher, mich da unten um ihn zu kümmern. Trotzdem … er ist schon ein eigenartiger kleiner Kerl … sehr eigenartig. Und er ist clever. So hat er zum Beispiel beschlossen, nichts mehr davon zu sagen, dass er Stimmen hört. Es ist alles wie bei dir, Reuben! Auch die Laborwerte. Sobald wir ein bisschen Fortschritt verzeichnen können, zersetzen sich die Proben. Was das angeht, sind wir noch nicht weitergekommen. Jedenfalls ist er nicht mehr der Junge, der er einmal war. Ich möchte wirklich, dass du mit ihm sprichst.»
Reuben merkte, dass es viel einfacher war, mit seiner Mutter über all diese Dinge zu sprechen, seit es um Stuart ging. Die Sprachlosigkeit, die zwischen ihnen herrschte, schien vergessen zu sein. In Bezug auf Stuart gab es keine Geheimnisse zwischen ihnen, und das Mysteriöse, das der ganzen Sache anhaftete, schien nur Stuart zu betreffen.
Reuben war es nur recht so.
Er sagte, er werde Stuart so bald wie möglich besuchen und gleich am Dienstagmorgen da sein.
Am Ende des Telefonats fragte Grace, ob es ihm und Laura recht sei, wenn sie, Phil und Jim zum Abendessen kämen.
Reuben war überglücklich. Da er das
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