Das Geschenk der Wölfe
nicht gesagt, dass manchmal nichts passierte? Es war nur eine vage Hoffnung, aber eine, an die Reuben sich klammerte.
Er versuchte seine trüben Gedanken zu verscheuchen und sich einfach nur darüber zu freuen, dass er seine Familie um sich hatte und sich das Haus – und sei es nur für diesen einen Abend – mit Leben füllte. Besonders freute ihn, dass sein Vater sich so wohlfühlte und nicht gelangweilt war.
Das Essen – Rostbraten, frisches Gemüse und einer von Lauras großen Salaten mit vielen Kräutern – war ein großer Erfolg.
Laura unterhielt sich mit Jim über Teilhard de Chardin. Reuben verstand nur die Hälfte von dem, was sie sagten, aber er sah, wie sehr beide das Gespräch genossen. Er sah auch, dass Phil von Laura ganz entzückt zu sein schien. Als er über den Lyriker Gerard Manley Hopkins sprach, hörte Laura gespannt zu. Grace fing natürlich von einem anderen Thema an, aber Reuben war es seit langem gewohnt, beiden Gesprächen gleichzeitig zu lauschen. Fakt war, dass Laura seinen Vater mochte. Und seine Mutter auch.
Grace fragte, was die Theologie den Menschen je gebracht hätte – oder, wenn man schon mal dabei sei, die Lyrik.
Darauf sagte Laura, die Wissenschaft sei von der Lyrik abhängig, da alle wissenschaftlichen Beschreibungen metaphorisch seien.
Unschön wurde das Gespräch erst, als es um Dr. Akim Jaska ging. Grace wollte sich daran nicht beteiligen, aber Phil ließ seiner Wut freien Lauf.
«Der Mann wollte dich einweisen lassen», sagte er aufgebracht zu Reuben.
«Aber das haben wir natürlich nicht zugelassen», sagte Grace. «Das käme für uns niemals in Frage.»
«Einweisen lassen?», fragte Laura.
«Ja, in diese Möchtegern-Klinik in Sausalito, von der er andauernd faselt», sagte Phil. «Ich wusste gleich, dass dieser Kerl ein Schwindler ist. Ich war drauf und dran, ihn aus dem Haus zu werfen, als er das erste Mal zu uns kam. Was bildet der sich ein, uns solche Papiere vorzulegen?»
«Welche Papiere?», fragte Reuben.
«Er ist kein Schwindler», sagte Grace, und es kam zu einer jener Szenen, wo Grace und Phil einander nur noch anschrien. Irgendwann griff Jim ein und sagte, der Doktor sei gewiss ein kluger Kopf und ein Meister seines Fachs, aber es sei nicht in Ordnung, dass er sich dermaßen in Reubens Fall einmische.
«Ach, vergiss ihn einfach», sagte Grace. «Wir haben mit dem Mann nichts mehr zu tun, Reuben. Er und ich sind nicht auf der gleichen Wellenlänge. Leider.» Dann fügte sie noch bedauernd hinzu, dass er einer der brillantesten Ärzte sei, den sie je kennengelernt habe. Zu schade, dass er diese fixe Idee über Werwölfe habe.
Phil schnaubte indigniert, warf seine Serviette auf den Boden und hob sie gleich wieder auf, warf sie auf den Tisch und sagte, der Mann erinnere ihn an Rasputin.
«Er hat da nämlich so eine Theorie», wandte sich Jim erklärend an Reuben. «Sein Spezialgebiet sind Mutationen. Aber seine Referenzen sind nicht sauber, und Mom hat das schnell erkannt.»
«Nicht schnell genug für mich», sagte Phil. «Er hat versucht, die Lücken in seinem Lebenslauf mit einer haarsträubenden Geschichte über den Niedergang der Sowjetunion zu erklären. In dem Durcheinander seien die wichtigsten Dokumente seiner Forschungsergebnisse verloren gegangen. So ein Unsinn!»
Reuben stand auf und legte eine CD mit beruhigender Klaviermusik von Eric Satie auf. Als er wieder an den Tisch zurückkehrte, sprach Laura über den Wald und sagte, alle müssten nach der Regenzeit wiederkommen, dann könnten sie alle zusammen eine wunderbare Wanderung machen.
Irgendwann gelang es Jim, Reuben unter vier Augen zu sprechen, als er nach Einbruch der Dunkelheit einen kurzen Waldspaziergang mit ihm machte.
«Stimmt es, dass der Junge gebissen worden ist?», fragte er.
Erst wollte Reuben nichts dazu sagen, doch dann hielt er es nicht länger aus und erzählte Jim alles. Inzwischen war er sich sicher, dass Stuart von dem Chrisam nicht sterben, sondern genauso ein Wesen wie er werden würde.
Das brachte Jim so aus der Fassung, dass er sich hinkniete, den Kopf senkte und betete.
Reuben berichtete auch von seinem Treffen mit Felix und dass er glaubte, Felix kenne die Antworten auf alle Fragen.
«Was erhoffst du dir denn von ihm?», fragte Jim. «Dass er dir eine moralische Rechtfertigung für diese brutalen Überfälle liefert?»
«Ich hoffe, was jedes fühlende Wesen hofft … dass ich Teil von etwas bin, das größer ist als ich, dass ich eine wichtige Rolle
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