Das Geschenk der Wölfe
Geschenk der Wölfe voll unter Kontrolle hatte, brauchte er einen abendlichen Besuch nicht mehr zu fürchten. Diesen Zustand hatte er sehnlich herbeigewünscht.
Zusammen mit Laura bereitete er am Montag das Essen vor, das sie im großen Esszimmer servieren wollten.
Sie holten Tischdecken mit alten Spitzen aus den Schränken, Stoffservietten mit dem aufgestickten Initial
N
sowie das gravierte Silberbesteck. Für die Diele bestellten sie Blumenschmuck und bei der nächstgelegenen Bäckerei ein besonderes Dessert.
Grace und Phil waren von dem Haus begeistert, und Phil verliebte sich regelrecht darin, genau wie Reuben es vorausgesehen hatte. Er hörte nicht mehr zu, worüber sich die anderen unterhielten, sondern begann auf eigene Faust durch die Räume zu wandern. Beeindruckt murmelte er vor sich hin, fuhr mit den Händen über Holztäfelungen, Türpfosten, den Flügel, Ficusblätter und die ledernen Buchrücken in der Bibliothek. Um die Holzschnitzereien und den mittelalterlichen Kamin genauer betrachten zu können, setzte er seine dicke Brille auf. Mit seinem ausgebeulten Tweedanzug und dem langen grauen Haar sah er aus, als gehörte er in dieses Haus.
Irgendwann mussten sie ihn aus dem oberen Stockwerk holen, weil alle hungrig waren. Er schien aber weiter mit dem Haus zu kommunizieren und hörte nicht zu, als Grace darüber sprach, wie teuer es sein musste, ein Haus wie dieses in Schuss zu halten.
Seinen Vater so zu sehen, freute Reuben sehr. Immer wieder umarmte er ihn, aber er schien in eine Traumwelt abgetaucht zu sein und murmelte: «Ich würde hier aus dem Stand einziehen.» Ab und zu warf er Reuben liebevolle und stolze Blicke zu.
«Es ist genau das Richtige für dich», sagte er.
Grace hingegen fand es nicht zeitgemäß, solche Häuser privat zu nutzen. Sie fand, sie sollten zu öffentlichen Einrichtungen umgestaltet werden – etwa Museen oder Krankenhäusern.
Reuben fand seine Mutter an diesem Abend besonders schön. Ihr rotes Haar umspielte ihr Gesicht auf natürliche Weise, die Lippen waren nur leicht geschminkt, und ihr Blick war, wie immer, wach und interessiert. Ihr schwarzer Seidenanzug sah nagelneu aus, und um den besonderen Anlass zu würdigen, hatte sie ihre Perlen angelegt. Trotzdem wirkte sie müde und ausgelaugt, und sie beobachtete Reuben die ganze Zeit aufmerksam, egal mit wem er sich gerade unterhielt.
Jim verteidigte Reubens Entscheidung für dieses Haus und sagte, all die Jahre sei Reuben so sparsam gewesen, dass er jetzt ruhig viel Geld für das Haus ausgeben dürfe. Er erinnerte die anderen daran, dass Reuben auf Reisen immer in kleinen Hotels abgestiegen war und billige Überlandbusse benutzt hatte. Außerdem hatte er an einer staatlichen Universität studiert und nicht an einem College der Ivy League. Der einzige Luxus, den er sich je gegönnt habe, sei der Porsche, den er sich zum Examen gewünscht hatte, und den fahre er bekanntlich immer noch. Außerdem habe er vorher noch nie sein Treuhandvermögen angetastet und jahrelang nur die Hälfte von dem verbraucht, was an Tantiemen ausgeschüttet wurde. Okay, das Haus sei teuer, aber er habe nicht den Eindruck, dass Reuben es verschwenderisch ausstatte.
Jim warf auch die Frage auf, wie lange Reuben noch bei seinen Eltern hätte wohnen sollen. Eine moderne Stadtwohnung oder eins der alten, grundsanierten Häuser in San Francisco wäre auch nicht gerade billig gewesen. Großvater Spangler wäre es bestimmt lieber gewesen, dass sein Enkel sich für einen so wertvollen Grundbesitz entschied. Die Folgekosten hätten ihn bestimmt nicht gestört. Nicht umsonst sei er Projektentwickler in der Immobilienbranche gewesen. Eines Tages würde man das Ganze hier für ein Vermögen weiterveräußern können. Also solle man Reuben gefälligst zufriedenlassen!
Grace nickte gnädig.
Was Jim nicht erwähnte, war, dass er sein eigenes Treuhandvermögen an die Familie zurückgegeben hatte, als er Priester wurde. Aber alle hatten das Gefühl, dass seine Argumente deswegen umso schwerer wogen.
Was Reuben nicht erwähnte, war, dass Felix seiner Meinung nach ein moralisches Anrecht auf das Haus hatte. Es brach ihm zwar das Herz, wenn er sich vorstellte, das Haus wieder aufgeben zu müssen, aber das war die geringste seiner Sorgen. Was würde Felix denken, wenn er herausfand, was mit Stuart passiert war?
Wie würde Stuart selbst darüber denken, sobald er erfuhr, was es im Einzelnen bedeutete?
Aber vielleicht war ja gar nichts passiert. Hatte Marrok
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