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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Wolfsmenschen etwas übertragen wurde, das aus dem Blut der Opfer isoliert werden kann.»
    «Ganz genau», sagte Felix.
    «Nun, da wären sie enttäuscht worden», sagte Grace. «Wir haben ja selbst schon alles getestet, was irgend getestet werden konnte.»
    «Du unterschätzt die Möglichkeiten, die solche Leute haben», sagte Phil. «Du bist ja keine Forscherin im eigentlichen Sinne, sondern Chirurgin. Aber die beiden waren so etwas wie die Erschaffer von Frankenstein.»
    Jim warf Reuben einen vielsagenden Blick zu und sah müde, besorgt und beinahe ängstlich aus. Er hatte Simon Oliver zum Krankenhaus begleitet und war erst vor einer Stunde zurückgekehrt.
    «Eins ist jedenfalls gewiss», sagte Grace. «Egal ob wir Chirurgen, Priester oder Dichter sind – wir alle haben dieses Monster mit eigenen Augen gesehen.»
    «Das wird kaum eine Rolle spielen», sagte Phil. «Es ist wie mit Gespenstern. Wenn du eins siehst, glaubst du an seine Existenz, aber niemand wird dir glauben. Du wirst es erleben, Grace! Man wird uns auslachen, genau wie jetzt schon alle ausgelacht werden, die behaupten, sie hätten diese Kreatur gesehen. Selbst wenn sich alle Augenzeugen am gleichen Fleck versammelten und eine eindrucksvolle Demonstration abhielten, würde es keinen Unterschied machen.»
    «Das stimmt», sagte Jim.
    «Und was schließen Sie daraus?», fragte Felix und sah Grace aufmerksam an. «Hat es Ihnen eine Erkenntnis vermittelt, die Sie vorher nicht hatten?»
    «Dass es real ist», sagte Grace und zuckte mit den Schultern. «Kein verkleideter Verbrecher und kein Hirngespinst. Es muss sich um eine Laune der Natur handeln, eine ziemlich üble allerdings. Ein Mensch mit einer monströsen Deformierung. Bestimmt kommt eines Tages ans Licht, um was es sich genau handelt.»
    «Durchaus möglich», sagte Felix.
    «Und wenn es eine unbekannte Spezies ist?», sagte Phil. «Ein Lebewesen, das einfach nur noch nicht entdeckt wurde?»
    «Unsinn», sagte Grace. «Das ist heutzutage nicht möglich. Nicht hier. In Neuguinea vielleicht, aber nicht hier. Nein, nein. Es ist ein Einzelexemplar, das so geworden ist, weil ihm etwas Schreckliches zugestoßen ist … oder es ist etwas, das man früher als Missgeburt bezeichnet hätte.»
    «Hmmm, ich weiß nicht», sagte Phil skeptisch. «Was könnte eine derartige Fehlentwicklung denn verursacht haben?»
    «Bestimmt findet sich eines Tages eine Erklärung», sagte Grace überzeugt. «Früher oder später wird diese Kreatur eingefangen. In unserer modernen Welt gibt es keine Schlupflöcher mehr. Und erst wenn man weiß, worum es sich bei diesem Wolfsmenschen genau handelt, wird wieder Ruhe einkehren. Bis dahin wird die Hysterie über den Wolfsmenschen weiter um sich greifen, und man wird ihn weiter als den neuen Superhelden feiern. Dabei ist er nur ein bedauernswertes Wesen. Wenn er tot ist, wird man ihn vielleicht ausstopfen und in einer Glasvitrine im Smithsonian Museum aufstellen. Die Leute werden ihren Enkelkindern erzählen, dass sie ihn mit eigenen Augen gesehen haben, als er noch als Wohltäter der Menschheit galt. Man wird ihn romantisieren und Mitleid mit ihm haben, so wie seinerzeit mit dem Elefantenmenschen.»
    Jim sagte nichts.
    Reuben ging in die Küche, wo der Sheriff den dreizehnten Kaffee trank und sich mit Galton über Werwolfgeschichten «aus dieser Gegend» unterhielt, die vor langer Zeit spielten.
    «Und dann gab’s da doch diese geisteskranke Lady», sagte der Sheriff. «Hier im Haus soll sie gewohnt haben. Ich weiß noch, dass meine Großmutter von ihr erzählte. Sie soll dem Bürgermeister von Nideck erzählt haben, dass hier in den Wäldern Werwölfe hausten.»
    «Keine Ahnung, wovon Sie sprechen», sagte Galton. «Ich bin älter als Sie und habe noch nie etwas davon gehört.»
    «Doch, doch! Die Lady ging so weit zu behaupten, die Nidecks seien alle Werwölfe. Sie muss sich ziemlich aufgeführt haben. Getobt und geschrien soll sie haben, weil sie unbedingt wollte, dass man ihr glaubt.»
    «Also wirklich … Ihre Großmutter muss eine blühende Phantasie gehabt haben», sagte Galton.
    Stuart war mit Margon Sperver verschwunden. Baron Thibault half Laura, die letzten Feigenkekse und Kokosmakronen auf ein chinesisches Tablett mit zartem Blumendekor zu legen. Die ganze Küche roch nach Äpfeln und Zimttee. Laura sah äußerst angespannt aus, aber sie schien Thibault zu mögen, denn sie hatte sich schon den ganzen Abend mit ihm unterhalten.
    «Moralität ist aber immer eine

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