Das Geschenk der Wölfe
Ruhe, und sie näherten sich wieder dem Elchkadaver.
Felix verhielt sich so ruhig, dass sie mutiger wurden und sich wieder ans Fressen machten.
Wieder schlich Felix sich an, und sie erschraken, als sie ihn hinter sich lachen hörten.
Plötzlich machte Felix einen Satz nach vorn, packte den größten und schnappte nach seinem Kopf. Er schüttelte ihn und schleuderte ihn von einer Seite auf die andere, dann warf er ihn Reuben vor die Füße.
Jaulend und bellend flohen die anderen Kojoten.
Die Fressorgie ging weiter.
Der Morgen dämmerte schon, als sie die Küste wieder erreichten und die glitschigen Klippen mehr hinunterrutschten als kletterten, bis sie den Tunneleingang fanden. Er schien winzig zu sein, fast unsichtbar, nur ein bemooster Riss im zerklüfteten Felsen, gegen den die unruhigen Wellen schlugen.
Ohne stehenzubleiben, nahm Felix im Tunnel wieder Menschengestalt an, und Reuben tat es ihm gleich. Er spürte, wie seine Füße schrumpften und seine Beinmuskeln mit jedem Schritt schwächer wurden.
Im Zwielicht zogen sie sich wieder an. Ihre Kleider waren schmutzig und zerrissen, aber andere hatten sie nicht.
Felix umarmte Reuben, strich ihm übers Haar und legte ihm die Hände auf die Schultern.
«Kleiner Bruder», sagte er.
Es war das Erste und Einzige, was er auf ihrem gemeinsamen Ausflug sagte.
Sie stiegen ins warme Haus, und jeder ging in sein Schlafzimmer.
Laura stand am Fenster und blickte in die stahlblaue Dämmerung.
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38
I m Esszimmer loderte ein Feuer, und Kerzen beleuchteten den langen Tisch. Dazwischen standen Platten mit Lammbraten, der nach Knoblauch und Rosmarin duftete, glasierten Entenbrüsten, Brokkoli, Zucchini, gebackenen Gemüsezwiebeln, Kartoffeln, einem Salat aus Artischockenherzen, kleingeschnittenen Bananen und Melonen sowie frischgebackenem Brot.
In hochstieligen Gläsern funkelte Rotwein, der Salat glänzte in einer großen Holzschüssel, der Duft einer würzigen Minzsoße mischte sich mit dem des saftigen Fleischs, und das heiße Brot dampfte.
Alle hatten geholfen, die köstlichen Speisen aus der Küche hereinzubringen, und Stuart hatte den Tisch gedeckt. So schöne alte Leinenservietten und so große Gabeln und Messer hatte er noch nie gesehen. Zuletzt brachten Felix und Thibault eine Schüssel Zimtreis und orangefarbene Süßkartoffeln herein.
Margon setzte sich an die Stirnseite des Tischs. Das dichte braune Haar fiel ihm locker auf die Schultern, den Kragen seines burgunderroten Hemds hatte er leger geöffnet. In seinem Rücken waren durchs Ostfenster die zwei, drei Reporter zu sehen, die immer noch zwischen den Eichen herumlungerten.
Es war früher Nachmittag, und das Licht, das durch die Bäume schien, war heute erstaunlich hell.
Als alle Platz genommen hatten, forderte Margon sie zu einem stillen Dankgebet auf, dessen einleitende Sätze er sprach, und alle senkten die Köpfe.
«Margon, der Gottlose, dankt den Göttern», flüsterte Felix amüsiert und sah Reuben und Laura zu, die ihm gegenüber saßen, dann schlossen auch sie die Augen und senkten die Köpfe.
«Wie immer wir die Macht auch nennen, die unsere Welt regiert», sagte Margon, «vielleicht erschaffen wir sie selbst, auf dass sie uns so sehr liebe, wie wir sie lieben.»
Danach war es eine Weile vollkommen still. Nur der Regen pochte leise an die Fenster, reinigte die Welt und nährte sie, während die Holzscheite im Feuer knisterten und knackten und die Flammen an den rußgeschwärzten Backsteinen leckten. Aus der Küche kam leise Musik – Erik Saties
Gymnopédie No. 1
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Dass Menschen so wunderbare Musik hervorbringen, dachte Reuben, obwohl sie doch nur auf einem winzigen Planeten im winzigen Sonnensystem einer winzigen Galaxie durchs endlose All trudeln. Vielleicht nimmt der Schöpfer von alledem diese Musik als ein Gebet. Liebe uns, so wie wir dich lieben!
Stuart, der mit weißem T-Shirt und Jeans zwischen Felix und Thibault an der anderen Tischseite saß, begann plötzlich zu weinen. Er schlug die großen Hände vors Gesicht, und seine Schultern bebten. Nach einer Weile beruhigte er sich, und die letzten Tränen rannen ihm stumm über die Wangen. Die blonden Locken hatte er zurückgebunden, und mit seiner kurzen breiten Nase und den Sommersprossen sah er aus wie ein Schuljunge, der etwas zu groß geraten war.
Laura lächelte gerührt, als sie ihn beobachtete.
Reuben drückte ihr die Hand. Mit einer Mischung aus Wehmut und tiefempfundenem Glück dachte er an das
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