Das Geschenk der Wölfe
dann nicht auf so spektakuläre Art und Weise. Aber ja – wir kümmern uns um neue Morphenkinder.»
«Haben Sie es mir denn gar nicht übelgenommen, dass ich als Wolfsmensch so viel öffentliches Aufsehen erregt habe?», fragte Reuben.
Felix lachte leise, genau wie Thibault, und sie wechselten einen amüsierten Blick.
«Ob wir es Ihnen übelnahmen?», sagte Thibault und stieß Reubens Ellenbogen an. «Was meinen Sie wohl?»
Reuben war sich nicht sicher, wie er diese Reaktion deuten sollte, aber sie fiel glimpflicher aus, als er befürchtet hatte.
«Nun, begeistert war ich nicht gerade», sagte Felix. «Aber böse war ich Ihnen zu keinem Zeitpunkt.»
«Es gibt noch so vieles, was wir Ihnen erklären müssen», sagte Thibault freundlich. «Ihnen und Stuart. Und Laura natürlich auch.»
Und Laura natürlich auch.
Felix sah zu den dunklen Fenstern hinüber, an denen der Regen glitzerte. Dann wanderte sein Blick an die Decke mit den alten Holzbalken und dem aufgemalten Sternenhimmel.
Ich weiß, was er empfindet, dachte Reuben. Er liebt dieses Haus noch genauso wie zu der Zeit, als er es erbaute. Denn er muss der Bauherr gewesen sein. Er liebt es, er braucht es, und er möchte hier wieder einziehen.
«Es würde Jahre dauern», sagte Felix versonnen, «Ihnen alles zu erzählen, was uns wichtig ist und was wir erlebt haben.»
«Ja, mein Lieber, aber für heute reicht es», sagte Thibault und sah Felix fürsorglich an. Dann wandte er sich an Reuben. «Sie sollen wissen, dass Sie niemals in Gefahr waren, als wir uns noch im Verborgenen hielten und auf den besten Moment zum Zuschlagen warteten.»
«Verstehe», sagte Reuben. Gern hätte er noch mehr gesagt, aber für heute reichte es wirklich.
Plötzlich tauchte eine Vision vor ihm auf, die all seine Fragen unwichtig werden ließ. Es war wie Musik, die ähnlich einer triumphalen Brahms-Sinfonie anschwoll. Sein Herz schlug im Rhythmus dieser Musik, und er sah ein Leuchten, das ihm wie ein göttliches Licht vorkam.
In Gedanken war er wieder in den höchsten Wipfeln, in einem luftigen Nest, sah die Sterne über sich und fragte sich zum wiederholten Mal, ob die große Sehnsucht, die große Liebe, die er für die Schöpfung empfand, nicht in Wahrheit ein Gebet war. Aber warum war diese Frage für ihn so wichtig? War es die einzige Form der Erlösung, die er sich vorstellen konnte?
«Margon wird sich um Sie kümmern», sagte Thibault. «Es ist immer am besten, ihm die neuen Morphenkinder zu überlassen. Er ist der Älteste von uns.»
Die Aussicht gefiel Reuben. Und es freute ihn, dass dieser Mann jetzt bei Stuart, dem Wolfsjungen, war. Er konnte sich kaum vorstellen, wie verwirrend das alles für den lebhaften, wissbegierigen Jungen sein musste. Bestimmt war es für ihn viel schwerer, sich an sein neues Leben zu gewöhnen, als es für Reuben gewesen war. Umso besser, dass er von Anfang an Margon an seiner Seite hatte.
«Ich bin müde», sagte Felix. «Und der Anblick von so viel Blut vorhin hat mir Appetit gemacht.»
«Komm, das muss doch nicht sein!», sagte Thibault und stieß Felix spielerisch in die Seite.
«Du warst schon älter, als du einer von uns wurdest», sagte Felix und gab den Stoß zurück.
«Das stimmt», sagte Thibault. «Und es ist nicht das Schlechteste. Jetzt, zum Beispiel, fehlt mir nur ein Bett zu meinem Glück.»
«Und ich muss in den Wald», sagte Felix und sah Laura an. «Erlauben Sie, dass ich diesen jungen Mann mitnehme, falls er Lust hat?»
«Natürlich», erwiderte Laura und drückte Reuben die Hand. «Aber was ist mit Stuart?»
«Er ist in der Nähe», sagte Thibault. «Margon ist mit ihm rausgegangen, damit er sich austoben kann.»
«Aber da draußen sind doch Reporter», sagte Reuben. «Ich kann sie hören.»
«Genau wie Margon», sagte Felix beruhigend. «Sie kehren durch den Tunnel oder über das Dach ins Allerheiligste zurück. Machen Sie sich keine Sorgen. Überhaupt sollten Sie sich lieber daran gewöhnen, dass Sie sich von jetzt an keine Sorgen mehr zu machen brauchen.»
Laura stand mit den anderen auf und umarmte Reuben. Er spürte ihre heißen Brüste und drückte das Gesicht in ihre Halsbeuge. Er brauchte ihr nicht zu sagen, wie viel es ihm bedeutete, mit Felix den Wald zu durchstreifen.
«Komm bald zurück», flüsterte Laura.
Thibault war um den Tisch gekommen, um ihren Arm zu nehmen und sie wie ein formvollendeter Gentleman die Treppe hinaufzuführen.
Reuben wusste, dass Laura diese Geste zu schätzen wusste, als
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