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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kreatur das Böse in Marchents Brüdern gerochen wie er das Böse des Vergewaltigers?
    So musste es wohl sein. Zum ersten Mal konnte er verstehen, warum die Kreatur ihn verschont hatte. Sie hatte erkannt, dass Reuben nicht Teil des Bösen war, das Marchent das Leben genommen hatte. Sie konnte die Aura des Bösen von dem der Unschuld unterscheiden.
    Aber hatte sie auch gewollt, dass ihre Kraft auf ihn überging?
    Etwas von ihrem Speichel war in Reubens Blutbahn gelangt, wie ein Virus, hatte seinen Weg vielleicht in sein Hirn gefunden, bis in die Zirbeldrüse hinein, jenes erbsengroße Organ, das … was steuerte? Die Hormonproduktion?
    Herrgott, er wusste es einfach nicht, konnte nur mutmaßen. Zum ersten Mal im Leben hatte er das Bedürfnis, mit Grace über solche Fragen zu sprechen, aber gerade jetzt war es nicht möglich. Keine Chance! Sie durfte nichts von alldem wissen! Sie durfte es nie erfahren. Überhaupt durfte niemand, der so wissenschaftsbesessen war wie sie, es je erfahren.
    Sie hatte schon viel zu viele Tests durchgeführt.
    Niemand durfte je erfahren, was mit ihm geschehen war.
    Er konnte sich lebhaft daran erinnern, wie er in Mendocino auf die Trage geschnallt wurde und die Ärzte anschrie: «Sagen Sie mir, was passiert ist!» Doch das war falsch gewesen. Niemand durfte es wissen, weil es niemanden gab, bei dem er sicher sein konnte, dass er das Wesen, zu dem er geworden war, nicht einsperren würde. Trotzdem musste er noch viel mehr darüber in Erfahrung bringen, was genau passiert war, zum Beispiel ob und wann und wie es sich wiederholen würde. Aber das ging nur ihn etwas an.
    Und noch etwas: Da oben im Redwoodwald Nordkaliforniens gab es eine Kreatur wie ihn, halb Mensch, halb Tier, die für das verantwortlich war, was mit ihm geschehen war. Doch was, wenn es nicht halb und halb, sondern mehr Tier als Mensch war, während in Reuben Reste von Menschlichkeit erhalten geblieben waren?
    Ein beängstigender Gedanke.
    Er stellte sich vor, wie diese Kreatur durch Marchents dunkles Haus geschlichen war, die Brüder mit seinen Reißzähnen und Klauen vernichtet und sich dann Reuben gepackt hatte, um mit ihm dasselbe zu tun. Bis sie von etwas gestoppt worden war. Sie hatte erkannt, dass Reuben unschuldig war. Deswegen hatte sie von ihm abgelassen.
    Aber hatte sie auch gewusst, was danach mit ihm passieren würde?
    Wieder erschreckte ihn sein eigenes Spiegelbild und frischte die Erinnerung auf.
    Seine Haut hatte einen besonderen Glanz angenommen, fast so, als hätte er sich mit Öl eingerieben. Auch seine Wangen, sein Kinn und die Stirn glänzten.
    Kein Wunder, dass alle ihn angestarrt hatten.
    Dabei hatten sie keinen Schimmer, was wirklich mit ihm los war. Wie könnten sie auch? Er selbst wusste ja nichts Genaues, sondern reimte sich alles bloß mühsam zusammen. Es gab so viel, was er noch herausfinden musste, so viel …
    Es klopfte an der Tür, und jemand drehte den Türknauf. Reuben hörte Phil nach ihm rufen.
    Er zog seinen Bademantel über und öffnete die Tür.
    «Reuben, mein Sohn, es ist zwei Uhr nachmittags. Der
Observer
telefoniert seit Stunden hinter dir her.»
    «Ich weiß, Dad. Tut mir leid», sagte er. «Ich fahre gleich los, wenn ich geduscht habe.»
    Der
Observer
. Das war der letzte Ort, an dem er jetzt sein wollte. Verdammt! Er schloss sich im Bad ein und ließ das heiße Wasser laufen.
    Es gab so viel, was er jetzt gern tun würde, so viel, worüber er nachdenken wollte. Aber er wusste, dass es wichtig war, zur Arbeit zu gehen. Statt um sich selbst zu kreisen, ohne weiterzukommen, sollte er tun, was Billie Kale von ihm erwartete. Seine Mutter. Sein Vater.
    Dennoch hatte er sich noch nie so sehr danach gesehnt, allein zu sein, nachzudenken, Antworten zu suchen und das Rätsel zu lüften, das ihn umgab.

[zur Inhaltsübersicht]
    6
    R euben fuhr mit dem Porsche zur Arbeit, und zwar viel zu schnell. In der Stadt kam ihm der Wagen immer wie ein Panther an der Kette vor. Lieber wäre er auf dem Weg nach Mendocino gewesen, zum Wald hinter Marchents Haus, aber er wusste, dass es dafür noch viel zu früh war. Bevor er sich auf die Suche nach dem Monster begab, das ihn zum Wolfsmenschen gemacht hatte, musste er mehr in Erfahrung bringen.
    Das Autoradio brachte ihn auf den neuesten Stand in Sachen Schulbusentführung. Immer noch war keine Lösegeldforderung eingegangen, und es fehlte nach wie vor jede Spur, wer die Kinder entführt hatte und wohin.
    Er rief Celeste an. «Sonnyboy», sagte sie

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