Das Geschenk der Wölfe
Gerichtsmedizin und die offensichtlichen Fragen, bevor er schloss:
«War es ein ‹Wolfsmensch›, der das Opfer vor seinem Angreifer gerettet hat? War es eine intelligente Bestie der Art, die erst kürzlich auch das Leben unseres Reporters in einem dunklen Hausflur in Mendocino gerettet hat?
Noch haben wir keine Antworten auf diese Fragen. Unzweifelhaft ist hingegen, was der Vergewaltiger in North Beach beabsichtigte, der mittlerweile mit anderen, bislang ungeklärten Vergewaltigungen in Verbindung gebracht wird. Genauso klar liegen die Absichten der drogensüchtigen Mörder zutage, die Marchent Nideck auf dem Gewissen haben.
Auch wenn die gerichtsmedizinischen Befunde beider Tatorte und die persönlichen Schilderungen der Überlebenden bislang keine befriedigende Erklärung liefern, wird die Zeit kommen, da sich das Rätsel lüftet. Fürs Erste müssen wir – wie so oft – mit offenen Fragen leben. Doch falls tatsächlich ein Wolfsmensch –
Der Wolfsmensch
– durch die Gassen von San Francisco streift – wer sollte sich vor ihm fürchten?»
Zuletzt gab er dem Ganzen den Titel:
«Der
Wolfsmensch
von San Francisco – ein mystisches Wesen als moralische Instanz»
Bevor er den Artikel abschickte, googelte er den Begriff «Wolfsmensch». Wie er inzwischen vermutet hatte, war er viel verbreiteter, als ihm bewusst gewesen war. Eine Nebenfigur der
Spiderman
-Comics hieß so, das Gleiche galt für die Manga-Serie
Dragon Ball
. Schon das Autorenduo Émile Erckmann und Louis-Alexandre Chatrian hatten eine solche Figur in einem Roman erfunden, der 1876 ins Englische übersetzt worden war. Folglich konnte niemand auf die Idee kommen, er habe diesen Begriff – aus welchen Gründen auch immer – erfunden. Das beruhigte ihn.
Er schickte den Artikel an Billie und verließ das Büro.
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7
A uf dem Heimweg begann es zu regnen, und als Reuben sich in sein Zimmer einschloss, goss es bereits in Strömen, aber es wehte kein Wind – typisches Spätherbstwetter im nördlichen Kalifornien. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, denn es bedeutete, dass die «Regenzeit» begonnen hatte und die nächste klare Nacht, in der man Mond und Sterne sehen konnte, vielleicht erst im April kommen würde.
Er hasste den Regen ohnehin. Zu Hause angekommen, zündete er das Kaminfeuer an und dimmte das Licht in seinem Zimmer, damit die lodernden Flammen dem Raum etwas Behaglichkeit verliehen.
Allerdings glaubte er zu wissen, dass ihm das nicht das Geringste bedeuten würde, sobald er sich wieder verwandelte. Falls er sich wieder verwandelte.
Was kümmert mich der Regen überhaupt?, fragte er sich. Er dachte an Kap Nideck und versuchte sich den Redwoodwald im Regen vorzustellen. Irgendwo auf seinem Schreibtisch lag eine Karte von dem Grundstück, die Simon Oliver ihm zugeschickt hatte. Dort hatte er zum ersten Mal gesehen, wie groß das Areal war. Das Haus befand sich südlich einer schroff aufragenden Klippe, die den Redwoodwald offenbar nach Osten hin schützte, genau wie die Ostseite des Hauses. Der zum Grundstück gehörende Strand war klein, und wie zugänglich er war, konnte man der Karte nicht entnehmen. Jedenfalls hatte der Erbauer des Hauses die bestmögliche Stelle gewählt, denn es überblickte das Meer und den Wald.
Er würde später darüber nachdenken. Zuerst musste er sich verbarrikadieren und die offenen Fragen klären.
Auf dem Heimweg hatte er sich ein getoastetes Sandwich und eine Flasche Wasser gekauft und machte sich nun hungrig darüber her, während er «Werwolf», «Legenden von Werwölfen», «Werwolf-Filme» und so weiter googelte.
Dummerweise hörte er die ganze Zeit das Gespräch am Esstisch, unten im Haus.
Celeste war immer noch wütend darüber, dass der
Observer
ihn von der Entführungsgeschichte abgezogen und ihn stattdessen auf diese «saudumme Wolfsmenschen-Sache» angesetzt hatte. Auch Grace fand es unmöglich, aber am meisten beklagte sie, dass ihr Sohn nicht in der Lage war, sich für seine ureigensten Interessen einzusetzen. Dieser schreckliche Überfall in Mendocino war das Letzte, was ihr Baby gebrauchen konnte. Phil murmelte, vielleicht würde aus Reuben doch noch ein richtiger Schriftsteller und als solcher könne er «alles verwerten, was ihm passiert».
Das ließ Reuben aufhorchen, und er notierte sich den Satz auf dem Notizblock, der neben der Tastatur lag. Ach Dad!
Doch das Komitee zur Lenkung von Reubens Leben hatte noch mehr Mitglieder.
Rosy, die von allen geschätzte
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