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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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erhoben sich zwei Stimmen über das allgemeine Gemurmel der Reporter. Es waren junge Stimmen, die sich über etwas lustig machten. Sie stellten scheinbar naive Fragen und amüsierten sich über Antworten, die sie bereits kannten. Bösartig, ohne Frage. «Wir wollen was für unsere Studentenzeitung schreiben und dachten, dass Sie uns vielleicht …» – «Und die haben das arme Mädchen wirklich totgeschlagen?»
    Reuben spürte das Kribbeln auf der ganzen Haut. Es war ebenso willkommen wie erschreckend.
    «Na, dann gehen wir mal wieder. Wir müssen nach San Francisco zurück.» Aber das stimmte nicht.
    Reuben schlich an den Rand des Gebüschs, hinter dem er sich versteckte. Dann sah er die jungen Männer. Frisuren, die in Princeton gerade Mode waren. Blaue Collegeblazer. Grinsend winkten die beiden den Reportern zum Abschied zu und gingen über den Parkplatz zu einem Landrover, der mit eingeschalteten Scheinwerfern auf sie wartete. Der Fahrer war nervös und schwitzte vor Angst.
Beeilt euch!
    Was folgte, klang in Reubens Ohren wie eine Kakophonie – dieses Kichern und Prahlen. Sie genossen die Gefahr, das Versteckspiel, als sie in den Wagen stiegen. Der Fahrer war ein selbstsüchtiger Feigling ohne jedes Mitgefühl für die Opfer. Auch das konnte Reuben riechen.
    Er umrundete den Parkplatz und folgte dann dem Landrover, der Richtung Küste fuhr.
    Es war gar nicht nötig, die Rücklichter im Blick zu behalten. Reuben verstand jedes Wort des schändlichen Gesprächs. «Die wissen einen Scheiß!»
    Der Fahrer war beinahe hysterisch. Ihm gefiel das Ganze nicht, und er wünschte, er hätte sich gar nicht erst darauf eingelassen. Immer wieder sagte er, er wolle aussteigen, egal was die anderen davon hielten. Es sei eine hirnverbrannte Idee gewesen, herzukommen und sich unter die Reporter zu mischen. Doch die anderen beiden ignorierten ihn und beglückwünschten sich gegenseitig zu ihrem Coup.
    Die ganze Luft war von ihrem Geruch durchdrungen. So stark hatte Reuben ihn noch nie empfunden.
    Er folgte ihm durch die Nacht. Das Gespräch drehte sich jetzt um technische Fragen. Sollten sie die Leiche jetzt gleich auf die Muir Woods Road werfen oder lieber bis zum Morgengrauen warten?
    Die Leiche. Reuben konnte sie riechen. Sie lag bereits im Landrover. Noch ein Kind. Sein Sehvermögen nahm zu. Er konnte die jungen Männer im Wagen vor sich sehen. Die lachende Silhouette des einen zeichnete sich klar und deutlich gegen das Rückfenster ab. Dann hörte er den Fahrer fluchen, weil die Sicht wegen des Regens so schlecht war.
    «Wie oft soll ich euch noch sagen, dass die Muir Woods Road zu nah ist?», sagte er. «Ihr werdet unvorsichtig.»
    «Quatsch! Je näher, desto besser. Begreifst du nicht, dass das der Clou ist? Am besten legen wir die Leiche direkt vors Büro des Sheriffs.»
    Gelächter.
    Reuben verringerte den Abstand. Der Geruch wurde so stark, dass er kaum noch Luft bekam. Er mischte sich mit dem der verwesenden Leiche. Reuben musste würgen.
    Das Kribbeln auf seiner Haut wurde immer stärker. Seine Brust krampfte sich zusammen, aber es war eher lust- als schmerzvoll. Langsam wuchs ihm das Fell. Es war, als streichelte jemand seinen Körper von Kopf bis Fuß, um ihm Kraft zu geben und ihn zu stimulieren.
    Der Landrover beschleunigte.
    «Okay, wir warten noch bis fünf. Wenn sie sich bis dahin nicht per E-Mail gemeldet haben, geben wir ihnen die zweite Leiche. Es muss so aussehen, als hätten wir den Kleinen gerade erst umgebracht.»
    Dieses Mal war es also ein Junge.
    «Wenn sich bis Mittag immer noch nichts getan hat, kriegen sie die Lehrerin mit den langen Haaren.»
    Herrgott, waren denn alle schon tot?
    Nein, das war es nicht. Vielmehr unterschieden sie nicht zwischen Lebenden und Toten, weil sie nach und nach alle töten wollten.
    Je weiter sie fuhren, desto wütender wurde Reuben.
    Inzwischen war er gewachsen, sodass sein Kopf ein ganzes Stück über das Lenkrad hinausragte. Seine Hände waren vollkommen behaart. Festhalten! Bloß das Steuer nicht loslassen! Seine Finger hatten die Form nicht verändert. Aber die Mähne fiel ihm jetzt bis auf die Schultern, und sein Sehvermögen schärfte sich minütlich. Im Umkreis von ein paar Hundert Metern konnte er jetzt so gut wie alles hören.
    Der Porsche fuhr wie von allein.
    Der Landrover bog ab. Dann ging es durch das waldige Städtchen Mill Valley, das an einer gewundenen Straße lag.
    Reuben ließ sich etwas zurückfallen.
    Andere Stimmen drangen zu ihm durch.
    Es waren

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