Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
ihren offenen Mund.
    «Vorsichtig», flüsterte sie und strich ihm die Haare aus den Augen.
    «Oh, meine Schöne!», flüsterte er. «Ich werde dir nicht weh tun. Lieber würde ich sterben, als dir weh zu tun. Darauf gebe ich dir mein Wort.»

[zur Inhaltsübersicht]
    12
    D as Leuchtdisplay des kleinen Weckers auf ihrem Nachttisch zeigte 4 : 00  Uhr an. Das bisschen Licht reichte ihm aus, um sich im Schlafzimmer zu orientieren.
    Er lag neben ihr und starrte an die kunstvolle Holzdecke. Dieses Zimmer war einst Teil einer Veranda gewesen, die sich über die ganze Rückseite des Hauses erstreckte. Über der umlaufenden Holztäfelung saßen bleiverglaste Fenster in drei Wänden. Reuben konnte sich lebhaft vorstellen, wie schön es war, wenn die Sonne hereinschien und der Wald mit seinen rötlichen Stämmen und den sattgrünen Blättern zu sehen war.
    Auch jetzt konnte er den Wald riechen, fast so intensiv wie draußen. Dieses Haus hatte jemand gebaut, der den Wald so liebte, dass er ein Teil davon sein wollte, ohne ihn zu zerstören.
    Die Frau lag neben ihm und schlief.
    Sie war wohl dreißig, aber ihr ursprünglich aschblondes Haar war offenbar schon früh ergraut; es war lang, weich und fiel ganz natürlich. Reuben hatte der Frau das Nachthemd zerrissen und sie Stück für Stück davon befreit. Sie hatte sich nicht dagegen gewehrt. Die Fetzen lagen jetzt neben und unter ihr wie ein gepolstertes Nest.
    Mit äußerster Selbstdisziplin hatte Reuben dafür gesorgt, dass er sie beim Liebesspiel nicht verletzte, aber das war nicht nur sein Verdienst. Mensch und Tier hatten wunderbar zusammengearbeitet, um sich ein Maximum an Lust zu verschaffen. Sie hatte sich ihm rückhaltlos hingegeben und genauso laut gestöhnt wie er, als sie seine wollüstigen Bewegungen parierte und sich dann in höchster Ekstase aufbäumte.
    Ihre Furchtlosigkeit zeugte von grenzenlosem Vertrauen. Selbstvergessen wie ein Kind war sie neben ihm eingeschlafen.
    Er aber hatte nicht zu schlafen gewagt, sondern wach gelegen, nachgedacht und sich und das Tier in ihm zur Rechenschaft gezogen. Zugleich hatte er dem Glück nachgespürt, das sie ihm bereitete, als sie ihn in Tiergestalt in sich aufgenommen hatte.
    Weil er sie nicht wecken wollte, war er nicht aufgestanden, um sich umzusehen oder in dem großen Schaukelstuhl Platz zu nehmen und sich die Fotos auf ihrem Nachttisch näher anzusehen. Von seinem Platz im Bett aus konnte er ein Foto von ihr sehen, das sie mit Rucksack und Stock auf einer Wanderung zeigte. Auf einem anderen Foto standen zwei kleine blonde Jungen neben ihr.
    Auf dem zweiten Foto sah sie ganz anders aus – sorgsam frisiert und mit einer Perlenkette um den Hals.
    Die Bücher auf ihrem Nachttisch, alte und neue, handelten alle vom Wald, von Flora und Fauna der Muir Woods und des Mount Tamalpais.
    Das überraschte Reuben nicht. Wer sollte an einem so unsicheren Ort wohnen, wenn nicht eine Frau, für die der Wald die Welt bedeutete? Sie war ein würdiger Teil dieser Welt, allerdings ein viel zu gutgläubiger.
    Reuben fühlte sich von ihr über die Maßen angezogen. Hinzu kam, dass sie jetzt ein Geheimnis teilten. Schließlich hatte sie ihn in seiner jetzigen Gestalt in ihrem Bett willkommen geheißen. Und wie sie ihn willkommen geheißen hatte! Reuben sah sie an und fragte sich, wer oder was sie war und wovon sie wohl träumte.
    Doch nun musste er gehen, denn er wurde müde.
    Wenn er den Weg durch den Wald nicht schnell zurücklegte, würde die Rückverwandlung vielleicht weit von seinem Wagen entfernt stattfinden, den er auf dem Hügel über dem Versteck der Kidnapper abgestellt hatte.
    Er küsste sie und spürte, wie sich seine Zähne an ihr Gesicht drückten.
    Sie schlug die Augen auf.
    «Wirst du mich wieder willkommen heißen?», fragte er mit seiner tiefen, rauen Stimme, die er ganz sanft klingen ließ.
    «Ja», flüsterte sie.
    Es war fast zu viel. Am liebsten hätte er sich gleich wieder mit ihr vereint. Doch er hatte nicht mehr genug Zeit. Wenn er das nächste Mal in sie eindrang, wollte er sie richtig kennenlernen, und er wollte, dass sie ihn richtig kennenlernte, mit allen Fasern ihrer Körper. Dieses ungeheure Verlangen! Er konnte immer noch nicht fassen, dass sie keine Angst vor ihm hatte und nicht geflohen war, sondern Stunden mit ihm im Bett verbracht hatte.
    Er hob ihre Hand an und küsste sie wieder und wieder.
    «Fürs Erste adieu, meine Schöne», sagte er.
    «Laura», sagte sie. «Ich heiße Laura.»
    «Ich wünschte,

Weitere Kostenlose Bücher