Das Geschenk des Osiris
schrie Satra verzweifelt, und Netnebu und Maiherperi sahen sie verwundert an. »Verzeih, Herr«, entschuldigte sie sich kleinlaut und senkte verlegen den Blick. »Bitte sage mir, was ich tun soll, wenn ich meinem Gebieter helfen will?«
»Willst du das denn wirklich?«
»Aber sicher doch, Hoher Herr.«
Netnebu musterte sie kritisch. »Dann knie vor Osiris nieder, berühre mit der Stirn den Boden, und lass einfach geschehen, was geschehen wird.«
Unschlüssig nickte Satra. »Ja, vielleicht werde ich das tun.«
Der Vorlesepriester legte ihr seine Hand auf die Schulter. »Du wirst es nicht bereuen, Satra«, versprach er, und sie dachte, hoffentlich, sagte aber kein Wort mehr, bis Netnebu wieder ging.
Als die Dämmerung hereinbrach, war Satra bereit, sich dem Gott zu stellen. Sie wusste zwar nicht, wie und wo sie das tun sollte, aber der Wille und die Entschlossenheit waren zumindest da.
Es gab in Amunhoteps Haus mehrere kleine Statuen sowohl von Osiris als auch von Amun, aber Satra fragte sich, ob es genügen würde, sich vor einer so winzig kleinen Figur zu verneigen, oder ob es nicht ratsamer wäre, der großen Statue im Vorhof des Tempels gegenüberzutreten, da sie dort auch der leuchtenden Erscheinung begegnet war.
Wie sollte sie aber in den Vorhof gelangen?
Sie durfte das Haus nur für eine Stunde am Tag in der Dämmerung des Abends verlassen, doch ohne Erlaubnis des Oberpriesters konnte sie nicht den Vorhof betreten.
Ernüchtert setzte sie sich mit gekreuzten Beinen auf ihren Strohsack und drehte dem Wachposten dabei den Rücken zu. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und blickte hinauf zur weiß gestrichenen Decke des Schlafgemachs.
Bitte, Osiris, Großer Gott, ich bin bereit, dir zu dienen, so wie du es wünschst, aber mir will einfach keine Lösung einfallen, wie ich die Wachen überlisten kann, um in den Vorhof des Tempels zu gelangen. Bitte, Gott, gib mir einen Einfall.
Satra wartete einen Moment, doch nichts geschah.
Typisch!, dachte sie verdrießlich und schalt sich sofort, denn sie hatte sich vorgenommen, von nun an nur noch gut über die Götter oder zumindest über Osiris zu denken.
Ihr Blick fiel auf Amunhoteps rechte Hand, an der er seinen Siegelring trug. Mit ihm war es so einfach gewesen, durch alle Kontrollen zu gelangen. Ob das auch heute so wäre?
Einen Versuch war es zumindest wert.
Mehr als Stockhiebe konnte sie dafür nicht bekommen. Sie hatte in der kurzen Zeit, die sie bisher in Kemi verbracht hatte, schon so viel Prügel bezogen, dass es darauf auch nicht mehr ankam. Sie wollte Amunhotep helfen und war mit einem Mal fest entschlossen, sich dem Gott zu stellen.
Vorsichtig lugte Satra zu dem Wachposten, der gelangweilt in seiner Ecke stand und vor sich hinstarrte. Anscheinend nahm er seine Aufgabe nicht allzu ernst, denn sie hatte sich in der ganzen Zeit nie etwas zuschulden kommen lassen.
Es könnte klappen, durchfuhr es sie, und ihr Gehirn begann zu arbeiten.
Sie durfte den Tempelwachen den Ring nur flüchtig zeigen, sodass die Männer nicht erkennen konnten, wessen Ring es war. Dass der Oberpriester sie nicht geschickt haben konnte, wäre ihnen sicherlich klar.
Satra saß da und brütete vor sich hin, doch eine andere Lösung wollte ihr nicht einfallen.
In der Zwischenzeit war es fast völlig dunkel im Raum geworden, denn sie hatte über ihren Überlegungen jegliches Zeitgefühl verloren und es auch nicht für nötig empfunden, die Lampen zu entzünden.
Verstohlen blickte Satra über die Schulter zu dem Wachmann, der inzwischen kaum noch Notiz von ihr nahm. Also richtete sie sich auf und beugte sich über Amunhotep, um das dünne Laken glatt zu ziehen, mit dem sein ausgemergelter Körper bedeckt war. Dabei fasste sie nach dem Siegelring und zog ihn von seinem Finger. Anschließend ging sie zur Tür und war aus dem Schlafgemach verschwunden.
Der Wachposten hatte nur kurz hochgesehen und dann weitergedöst, da er annahm, dass die Dienerin sich jetzt in den Park begab, um die letzte Stunde des Tags an der frischen Luft zu verbringen.
Gemächlichen Schritts schlenderte Satra an dem Soldaten vorbei, der den Zugang zum Haus bewachte, strebte dem Teich im Park zu und setzte sich mit dem Rücken an den Stamm einer Palme. Als es wenig später völlig dunkel war und kaum noch ein Priester oder Diener sich im Freien aufhielt, stand sie auf und begab sich zu der Pforte, vor der die beiden Wachposten standen und einen gelangweilten Eindruck machten. Sie zeigte ihnen kurz den
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