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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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nicht.«
    »Das glaube ich kaum«, erwiderte Mann-ohne-Hand. »Er wäre dann genauso dran wie wir.«
    »Wann soll es denn losgehen?«, wollte Lippenloser wissen.
    »Bei Neumond, wenn die Arbeiter ihre zwei Ruhetage haben«, entgegnete der ehemalige Schreiber. »Wir haben dann eine Nacht Zeit, um uns in die Seitenkammer vorzuarbeiten, und zwei Tage und Nächte, um alle Schätze herauszuholen und fortzubringen.«
    »Und dann, meine Freunde, sind wir reich«, fügte Nasenloser verträumt grinsend hinzu. »Wir verschwinden und fangen irgendwo ein sorgenfreies Leben an. Saufen und fressen, so viel wir wollen, und herumhuren mit prallbrüstigen Weibern, die uns zu Füßen liegen und all unsere Wünsche erfüllen.«
    Lippenloser und Stummer hätten sich, wenn es ihnen noch möglich gewesen wäre, am liebsten genüsslich die Lippen geleckt. So ließen beide nur ihre gelben, schmutzigen Zähne sehen – der eine lachte gierig, und dem anderen entrang sich ein dumpfer, gurgelnder Laut.
     
    * * *
     
    Zwei Wochen später war es so weit. Mann-ohne-Hand hatte sich mit dem Steinhauer von der Stätte der Wahrheit getroffen, wie das abgeschiedene Dorf der Grabarbeiter auf dem Westufer Thebens genannt wurde, und dieser hatte ihm einen kleinen Fetzen Papyrus in die Hand gedrückt, auf welchem die genaue Lage der beiden Grabstätten aufgezeichnet war. Die Wochen zuvor hatten Mann-ohne-Hand und Nasenloser sich abwechselnd jede Nacht auf die Lauer gelegt und genau die Patrouillengänge der Medjai erkundet, sodass sie nun genau wussten, wo und wann eine Streife auftauchen würde. Endlich waren sie bereit, ihre schändliche Tat zu begehen.
    Es war der vorletzte Tag im Epophi, dem dritten Monat der Erntezeit, und es war Neumond. Tiefschwarz breitete sich der Nachthimmel über den thebanischen Bergen aus, nur durchzogen von einer unzähligen Ansammlung von Sternen, deren Licht nicht ausreichte, um das Dunkel zu erhellen. Die vier Männer hatten sich zwei Stunden vor Sonnenuntergang auf den Weg zu ihrem Versteck unweit des verbotenen Tals aufgemacht. Nervös und angespannt lagen sie unter einem Felsvorsprung und warteten darauf, dass Nasenloser das Signal zum Aufbruch gab. Sie hatten sich ihre Körper mit Schlamm eingeschmiert, um so unsichtbar wie möglich gegen den nächtlichen Himmel zu sein. Streife
    Lautlos schlichen die vier Männer in gebückter Haltung den kleinen Pfad hinab, der sie zu unermesslichem Reichtum führen sollte. Bei ihrem Vordringen suchten sie den natürlichen Schutz der Landschaft. Hin und wieder gab Mann-ohne-Hand ein Zeichen. Dann verharrten sie bäuchlings im Schutz der Felsvorsprünge, bis kurze Zeit später, nur wenige Ellen von ihnen entfernt, ein Wachposten vorbeipatrouillierte. Sie wussten, was man mit ihnen machen würde, würde man sie erwischen. Waren sie bisher nur mit Verstümmlung und Strafarbeit belegt worden, so drohte ihnen für dieses Verbrechen der Tod. Dennoch waren sie gewillt, das zu riskieren.
    »Weiter!«, flüsterte Nasenloser.
    Auf allen Vieren krochen die Räuber voran.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie den Abstieg geschafft hatten, aber irgendwann hatten sie die Talsohle erreicht. Sie befanden sich an dem Ort, wo die mächtigen Gottkönige für ihre letzte Reise zur Ruhe gebettet worden waren.
    »Hier entlang«, wisperte Mann-ohne-Hand und drückte sich flach an den warmen Fels, sodass sein schlammbeschmierter Körper mit dem Gestein verschmolz. Kurze Zeit später hatten sie den Eingang zu dem aufgegebenen Westlichen Haus erreicht, das sich etwas oberhalb der Talebene befand.
    Als sie sich im Schutz des Felsens endlich wieder aufrichten konnten, entzündeten sie kleinen Öllampen und stellten sie so auf, dass ihr Schein nicht nach draußen dringen konnte, obwohl das sehr unwahrscheinlich gewesen wäre. Sie befanden sich mindestens zwanzig Ellen im Inneren des Bergs.
    Mann-ohne-Hand nahm den Fetzen Papyrus und begann die Stelle zu suchen, wo sie mit dem Wegräumen des Bauschutts beginnen mussten. Es dauerte nicht lange, und er wurde fündig. Mit seiner verbliebenen linken Hand wies er auf die Stelle und befahl den anderen, mit der Arbeit zu beginnen. Er selbst ging zurück zum Eingang und wachte darüber, dass sie von niemandem gestört wurden.
    Wie der Steinhauer gesagt hatte, waren es nicht mehr als knapp zwei Ellen Schutt, den die Männer abtragen mussten. Dahinter befand sich die Öffnung, die mit luftgetrockneten Schlammziegeln zugemauert worden war. Die Augen der Räuber

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