Das Geschenk: Roman
anderen Passagiere aufschnappen konnte, war der Halt des Zuges das beherrschende Thema. Wenigstens war er, Tom, umso länger in Eleanors Nähe, je länger der Zug stand. Doch was half ihm das? Es war offensichtlich, was Eleanor für ihn empfand. Er hatte insgeheim gehofft, dass sie ihn trotz allem, was geschehen war, noch immer liebte. Diesen Gedanken hatte Tom in all den Jahren gehegt und gepflegt, und er hatte ihm über viele schwierige Situationen hinweggeholfen. Nun war dieser Gedanke nicht mehr da; die Hoffnung war ihm brutal entrissen worden.
»Das ist diese Woche schon das zweite Mal, dass ich mit einem Zug fahre und etwas Unvorhergesehenes passiert«, sagte die Frau, die Tom gegenübersaß. Sie stellte sich als Sue Bunt aus Wisconsin vor. Sie war um die fünfzig, groß, ein wenig korpulent und hatte das Haar sehr kurz geschnitten. Ihre Kleidung war von professioneller Eleganz. Der Mann im Anzug saß neben ihr. Tom wusste, dass sie nicht zusammengehörten, weil der Mann unmittelbar vor ihm Platz genommen hatte. Sue hatte bereits allein am Tisch gesessen.
»Wie meinen Sie das?«, fragte der Mann. Er hatte sich nicht vorgestellt.
»Normalerweise fahre ich nicht mit dem Zug, aber die Flugverbindungen sind für meine Zwecke nicht mehr so günstig«, erklärte Sue.
»Was machen Sie denn beruflich?«, fragte Tom, nachdem er beschlossen hatte, sich dem Geist der Unterhaltung anzupassen.
»Ich bin Handlungsreisende für einen Hersteller von Gesundheitskost«, antwortete sie, während sie reichlich Butter auf ihr Brötchen strich.
»Frohe Weihnachten«, wünschte die Kellnerin, als sie zu ihnen kam und ihnen Gläser mit Eggnog servierte, eine alte Capitol-Limited-Tradition zur Weihnachtszeit, wie man ihnen erklärte.
»Frohe Weihnachten«, erwiderten sie. Dann erkundigte Sue sich bei der Kellnerin, was mit dem Zug los sei.
»Der Schaffner meint, wir fahren bald wieder. Es hat wohl irgendwas auf den Schienen gelegen, und wir haben es überfahren.« Sie trug eine Weihnachtsmütze, und Tom sah, dass sämtliche Fenster und Tische mit Lichterschnüren geschmückt waren.
Sie bestellten. Die Speisekarte war beeindruckend, und Tom konnte das Essen riechen, das in der Küche in der unteren Etage frisch zubereitet und dann mittels Aufzügen und Servierwagen zum Speisewagen transportiert wurde. Tom entschied sich für den Schweinebraten und bat, dass man ihm anstelle des Salats einen Screwdriver als Aperitif brachte. Er setzte das Glas gerade an die Lippen, als er spürte, wie er zur Seite geschoben wurde. Er wandte sich um, und da war Agnes Joe. Sie hatte sich neben ihn gequetscht und ließ ihm höchstens zwanzig Zentimeter Platz, sich zu bewegen und seine Mahlzeit einzunehmen.
»Hi, Agnes Joe«, begrüßten der Mann und Sue sie wie aus einem Munde.
Tom schüttelte verwirrt den Kopf. Kannte denn jeder im Zug diese Frau?
»Hallo, ihr Süßen.«
Als Tom sie ein wenig genauer betrachtete, war er verblüfft. Agnes Joe trug eine kleidsame Hose – ja, natürlich, der Stoff spannte sich bis zum Zerreißen um ihre Körpermassen, aber es war trotzdem ein beinahe elegantes Kleidungsstück. Dazu hatte sie einen geschmackvollen Pullover gewählt, und ihr Haar war frisiert. Sie hatte sich sogar geschminkt und sah nicht mehr annähernd so alt aus wie vorher. Es war eine solch erstaunliche Verwandlung, dass Tom Agnes Joe anfangs nur wortlos anstarren konnte.
»Hi«, sagte er schließlich leicht benommen.
»Hallo, Agnes Joe«, begrüßte die Kellnerin sie, als sie sich näherte. »Das Übliche?«
»Klar, wieder mit extra Zwiebeln, wenn’s geht.«
»Ich nehme an, dass Sie sehr oft mit diesem Zug fahren«, sagte Tom, nachdem die Kellnerin sich entfernt hatte.
»Oh, ich liebe den Zug und die Menschen darin. Es sind gute, anständige Leute. Ich habe es eine Zeit lang mit dem Fliegen versucht. Ich habe sogar eine Pilotenlizenz für Zivilflugzeuge, aber ich ziehe die Eisenbahn vor.«
Für Tom hatte das Bild einer Agnes Joe, die in den Pilotensessel einer zweisitzigen Cessna gezwängt war, die dicken Finger um den Steuerknüppel geschlungen und die mächtigen Füße auf den Pedalen der Seitenruder, etwas Halluzinatorisches.
Der Mann wandte sich an Sue. »Sie sind in der Gesundheitsversorgung tätig?«
»Ich mache in Gesundheits kost , als Handlungsreisende. Ich war mal Anwaltsgehilfin, aber irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen, mich für diese Rechtsverdreher abzurackern.«
Tom hatte während seiner Scheidung auch so
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