Das Geschenk: Roman
schwarze Wolken dräuten. Eine dicke Schneeschicht bedeckte den Untergrund mitsamt den allgegenwärtigen Salbeibüschen. Die meisten Fahrgäste hatten sich zu einem frühen Frühstück eingefunden, weil die Nachricht, dass eine Hochzeitsfeier bevorstand, rasch die Runde gemacht hatte. Während der Zug sich La Junta näherte, wuchs die allgemeine Spannung, und fast alle Fahrgäste sowie das Begleitpersonal hatten sich im Salonwagen versammelt, sodass dort kaum genug Platz für den Hochzeitszug blieb, der aus Braut und Bräutigam sowie einer Brautjungfer und einem Trauzeugen bestand, die sich keines Blickes würdigten. Wenngleich sie fast auf Tuchfühlung nebeneinander gingen, schien eine unsichtbare Wand sie zu trennen.
Die Trauung selbst verlief ohne nennenswerte Störungen. Eine Gruppe Musiker, die Max engagiert hatte und die am frühen Morgen zugestiegen war, intonierte den traditionellen »Hochzeitsmarsch« und andere Melodien. Kristobal filmte das Ereignis, und Max führte Regie, so gut es ging, wobei die meisten Fahrgäste keine Ahnung hatten, dass die Hochzeit in gewisser Hinsicht eine Max-Powers-Produktion war. Tom und Eleanor erfüllten ihre jeweiligen Pflichten, obgleich Tom einen peinlichen Augenblick lang den Ring nicht finden konnte und für einen weiteren, noch peinlicheren Moment zu versuchen schien, den Ring auf Eleanors Finger zu stecken, anstatt ihn Steve zu reichen. Dann hatte sich das geklärt, und Tom konnte zurücktreten und in Ruhe über verschiedene Gelegenheiten zum Selbstmord nachdenken, die sich auf der weiteren Fahrt möglicherweise ergeben würden.
Die Braut und der Bräutigam küssten einander, während der Zug in La Junta die Geschwindigkeit verlangsamte und schließlich zum Stehen kam. Julie stieß die Faust in die Luft und rief: »Yeah!«
Normalerweise war der Pike’s Peak von der Station aus deutlich zu sehen, aber diesmal war nicht einmal die wuchtige Felsformation seiner Basis durch die dichte Wolkendecke zu erkennen. Während der gesamten Zeremonie hatte Herrick Higgins still in seiner Nische gesessen und den gefährlich düsteren Himmel beobachtet.
Jeder an Bord warf eine Hand voll Reis, was auf dem Bahnsteig von einer Gruppe wiederholt wurde, die vorwiegend aus Eisenbahnpersonal bestand, wobei die weißen Körnchen sich mit den Schneeflocken vermischten und fröhlich davonwirbelten.
In La Junta wurde außerdem die dritte Diesellok angekoppelt, die dem Chief über den Raton Pass helfen sollte. Schließlich rollte der Zug aus dem Bahnhof. Die Zurückbleibenden stimmten ein Freudengebrüll an, als sie das »Frisch verheiratet«-Schild bejubelten und die leeren Konservendosen, die am hinteren Ende des letzten Waggons befestigt worden waren, über die Schwellen klapperten. Es war der beneidenswerte Beginn einer Ehe.
Dann fing die Party im Zug an, begleitet von dem üppigen Festmahl, das Max ebenfalls spendiert hatte. Während die Gäste sich voll stopften und der offizielle Hochzeitsfotograf seine Bilder schoss, erschien Roxanne in einem prächtigen Kostüm, das eindeutig nicht aus der Amtrak-Kleiderkammer stammte. Begleitet wurde sie vom Los Angeles Boys’ Center Choir, dessen Mitglieder ebenfalls schmuck herausgeputzt waren. Die Gäste verstummten, die Musiker zückten ihre Instrumente, und Roxanne und der Chor begannen zu singen. Es war eine sehr lange, aber auch sehr geschmackvolle Darbietung: Sie sangen klassische Lieder, dann Blues, dann Hiphop, dann einige Titel von Nat King Cole, dann ein paar Songs von Frank Sinatra. Roxanne hängte auf Steves und Julies Bitten als Solo ein »Think … Think …« an, ging dann zu »Chain of Fools« über, ihrer besten Aretha-Franklin-Imitation, und schwenkte schließlich auf den Erkennungssong der Soulqueen ein, »Respect«. Die Zuhörer wurden so mitgerissen, dass sie aufsprangen und jeden Buchstaben mitsangen: »R-E-S-P-E-C-T!« Roxanne füllte mit ihrer Stimme den Waggon bis in den letzten Winkel und wirbelte mit raffinierten kleinen Tanzschritten und einer Gelenkigkeit durch den Saal, die ihre Körperfülle Lügen strafte. Schweiß rann ihr über Gesicht und Hals, und als sie mehrmals laut »Amen!« schmetterte, schien sie tatsächlich von etwas Himmlischem erleuchtet zu sein.
Max konnte nur dasitzen und lächeln. Er zerriss demonstrativ sein Manuskript, als Roxanne einmal zu ihm hinüberschaute. Dann zog sie ihn von seinem Platz hoch, und sie legten einen Tanz aufs Parkett, worauf alle anderen es ihnen nachmachten. Hatte es im
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