Das Geschenk: Roman
nicht in Ordnung, Liebes?«, fragte Max.
»Siehst du es denn nicht? 6-6-6-6. Das ist die schlimmste Zahlenkombination, die es gibt! Sie ist noch schlimmer als eine dreifache Sechs!«
Max erbleichte. »Du hast Recht. Das Zeichen des Teufels plus eine weitere Sechs. Ein sehr schlechtes Karma.«
»Ist das wirklich ein Problem?«, fragte Kristobal mit nervösem Zittern in der Stimme.
»In meinem Gewerbe gibt es kaum etwas Schlimmeres«, sagte Misty nachdrücklich. »Können wir den Zug anhalten?«
»Gibt es hier denn keine Bremsleine, an der man ziehen kann, wie im Kino?«, fragte Lelia. Sie saß neben Kristobal und umklammerte ängstlich seinen Arm.
»Nein, so etwas gibt es nicht mehr«, sagte Higgins. »Aber beruhigen Sie sich, es ist alles in Ordnung. Der Chief fährt diese Route jeden Tag zweimal, hin und zurück.« Er schaute auf die Uhr. »Wir fahren schon bald in den Tunnel ein.«
»Ist er dunkel?«, fragte Kristobal.
»Das haben die meisten Tunnel so an sich, mein Sohn«, entgegnete Higgins. »Aber wir sind nicht lange drin. Schnell rein und wieder raus, und dann geht’s weiter nach Raton und New Mexico.«
Tom betrachtete den Brillantring in seiner Hand. Der Ring hatte früher seiner Mutter gehört; seit ihrem Tod trug er ihn bei sich. Fast hätte er ihn bei der Trauung hervorgeholt und Steve statt des offiziellen Traurings gereicht. Die kurzzeitige Verwirrung hatte überdies dafür gesorgt, dass Tom sich mit dem goldenen Ring Eleanor genähert hatte, statt ihn Steve zu geben, damit er ihn Julie an den Finger steckte. Nun schob Steve den Trauring seiner Mutter wieder in die Hosentasche, begutachtete sich im Spiegel, glättete ein paar widerspenstige Haare, rückte die Krawatte zurecht, die Kristobal ihm für die Hochzeitsfeier geliehen hatte, holte tief Luft und sagte sich zum hundertsten Mal, dass er das Richtige tat.
Ein paar Minuten später klopfte er an die Tür von Eleanors Abteil. Sie schob den Vorhang zurück und starrte Tom an; dann zog sie den Vorhang wieder vor. Tom hörte, wie die Tür verriegelt wurde. Er klopfte gegen die Glasscheibe. »Ellie, ich muss dringend mit dir reden, jetzt sofort.«
»Verschwinde!«
»Ich muss dich was fragen. Jetzt gleich.«
Sie schob die Tür so heftig auf, dass Metall gegen Metall krachte.
»Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt!«
Tom holte den Brillantring aus der Tasche und schickte sich an, auf die Knie zu sinken.
Das Innere des Southwest Chief wurde in Dunkelheit getaucht, als der Zug in den Tunnel einfuhr. Was dann geschah, lief mit erschreckender Plötzlichkeit ab. Die gesamten Schneemassen, die den südlichen Grat des Berges bedeckten, der den Eisenbahngleisen am nächsten war, lösten sich unter der Wucht unbarmherziger Windböen und Tonnen von frisch gefallenem Schnee. Offiziell setzte die Lawine sich um 23:15 Uhr Ortszeit in Bewegung und donnerte mit unglaublicher Geschwindigkeit den Berghang hinunter. Es war genug Schnee, um einen See von beträchtlicher Tiefe zu bilden, wäre er geschmolzen. Die Lawine traf auf den Lawinenzaun zwischen dem Berghang und den Gleisen. Der Zaun war errichtet worden, um die Eisenbahnstrecke zu schützen. Der Aufprall erfolgte jedoch mit solcher Wucht, dass der Stahlzaun umgeknickt, aus seiner Verankerung gerissen und den Berghang hinuntergeschleudert wurde.
Sofort ging ein automatischer Alarm an die Amtrak-Leitstelle; von dort wiederum wurde augenblicklich der Lokführer des Southwest Chief benachrichtigt und angewiesen, den Zug anzuhalten und auf weitere Anweisungen zu warten.
Der Chief war soeben aus dem Tunnel unter dem Raton Pass aufgetaucht, als der Alarm erfolgte, und der Lokführer betätigte die Bremsen mit jener Schnelligkeit, wie der Ernst der Lage erforderte. Eigentlich hätte es der Warnung der Amtrak-Leitstelle gar nicht bedurft, denn der Lokführer konnte das entsetzliche Spektakel der Lawine durch die Windschutzscheibe in aller Deutlichkeit verfolgen, obgleich es sich in beträchtlicher Entfernung auf dem Gleiskörper abspielte. Doch die Flutwelle aus Schnee und Gestein war so gewaltig, dass sie nach allen Seiten ausfächerte; eine mächtige Woge rollte mit tödlicher Wucht auf den Chief zu, sodass der Lokführer, der diese Route seit vierzehn Jahren fuhr, seiner Frau und seinen Kindern gerade noch ein schnelles Lebewohl sagen konnte. Er hatte in den Jahren bei der Eisenbahn schon viele Dinge gesehen, aber noch nie etwas, das dem, was jetzt auf ihn und seinen Zug zujagte, auch nur
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