Das Geschenk: Roman
das?«
Abermals senkte Julie verlegen den Blick. »Mein Hochzeitskleid. Ich habe es nicht mehr anprobiert, seit ich es gekauft habe. Ich dachte, vielleicht sollte ich es jetzt tun …«
»Ein schöner Gedanke!«, sagte Eleanor.
»Es macht Ihnen wirklich nichts aus? Wie Sie schon sagten, es ist spät, und Sie sind sicher müde.«
»Ich war müde. Jetzt nicht mehr.«
Eleanor half Julie in das Kleid, ein schlichtes, aber elegantes Ensemble in Weiß, das wie angegossen passte. Als sie Julie den Schleier aufsetzen wollte, nahm Julie ihn und legte ihn auf Eleanors Kopf. Die beiden Frauen traten nebeneinander vor den Spiegel.
»Sie sehen wunderschön aus, Julie.«
»Sie auch.«
Julie brach in hysterisches Gelächter aus, in das Eleanor nach wenigen Sekunden einfiel.
Als Eleanor das Kleid später wieder einpacken wollte und Julie kurz im Bad verschwunden war, setzte sie noch einmal den Schleier auf, hielt sich das Kleid vor den Körper und betrachtete sich im Spiegel.
»Ellie?«
Sie fuhr herum. Die Abteiltür war durch das Rucken des Zuges auf den Gleisen und die Beschleunigung von selbst ein Stück aufgeglitten. Tom stand in der Tür und starrte Eleanor an. Ihre Arme waren wie gelähmt. Reglos stand sie mit dem Hochzeitskleid einer anderen Frau da.
»Ellie?«, sagte Tom abermals und trat über die Schwelle.
In diesem Moment kam Julie aus dem Badezimmer. Ihr Blick huschte zwischen Tom und Ellie hin und her. »Entschuldigen Sie, wenn ich störe«, sagte sie.
Eleanor ließ das Kleid sinken, nahm den Schleier und legte ihn sorgfältig zusammen, während Tom ihr zusah. Dann reichte sie Julie den Kleidersack, umarmte sie und meinte lächelnd: »Schlafen Sie gut. Morgen verändert sich Ihr ganzes Leben, und ganz bestimmt zum Besseren.«
Julie küsste sie auf die Wange, machte kehrt und schlängelte sich an Tom vorbei, der immer noch wie vom Donner gerührt dastand und gleichermaßen verlegen und verwirrt dreinblickte.
»Was willst du, Tom?«
»Du hast in dem Kleid verdammt gut ausgesehen, Ellie.«
»Es ist spät. Solltest du nicht bei deiner geliebten Lelia sein?«
»Ich liebe Lelia nicht!«
»Dafür scheint sie dich zu lieben. Ich nehme an, dass du ihr einiges an Zuneigung gezeigt oder irgendeine Bemerkung gemacht hast. Vielleicht hast du ihr sogar ein Versprechen gegeben, denn ich kann nicht glauben, dass Lelia nur aus Freundschaft oder purer Freundlichkeit den weiten Weg hierher geflogen ist, um dir die Ehe anzutragen. Ehrlich gesagt, scheint sie mir nicht der Typ Frau zu sein, der so was aus freien Stücken tut.«
»Ich habe dir doch erklärt, unsere Beziehung war nie so eng.«
»Wie fühlt man sich denn, wenn man plötzlich vor einer solchen Situation steht?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
»Woher sollte ich denn ahnen, dass sie auf eine solche Schnapsidee kommt? Die Frau spinnt.«
»Wie lange kennt ihr euch schon?«
Tom zuckte unbehaglich die Achseln. »Ungefähr drei Jahre. Aber es gab immer wieder längere Pausen.«
»Hm, Pausen. Drei Jahre?«
»Ja!«
»Und du hast erwartet, dass sie sich damit zufrieden gibt?«
Er sah sie nur stumm an.
»Sie wollte also den Bund fürs Leben schließen«, fuhr Eleanor fort, »du aber nicht. Du warst zufrieden damit, zu kommen und zu gehen, wann es dir gefällt, und die guten Zeiten mit Lelia zu teilen, aber auf keinen Fall die schlechten. Du wolltest lieber solo sein und tun und lassen können, wonach dir der Sinn steht.«
»So ist es nicht, Ellie. So bin ich nicht mehr.«
»Natürlich nicht. Weißt du was? Du hast dich nicht verändert. Kein bisschen.«
»Es wäre anders! Mit der richtigen Frau wäre alles anders!«
Eleanor rieb sich die Schläfen. »Hör mal, wir haben morgen eine Hochzeit zu feiern. Die Hochzeit von jemand anderem. Ich brauche jetzt ein wenig Schlaf.«
»Wir können das Ganze doch nicht auf sich beruhen lassen.«
»O doch, das können wir, und das werden wir.« Tom trat auf sie zu, wollte sie in die Arme schließen, doch sie stieß ihn entschlossen zurück. »Wir werden morgen unserer Verpflichtung nachkommen. Anschließend geht es weiter nach LA, und dann ist Endstation. Du und ich werden aussteigen und dann jeder unserer Wege gehen. Diesmal für immer.«
»Ellie!«
»Leb wohl, Tom.« Sie schob mit einer Geste der Endgültigkeit die Tür zu.
KAPITEL 26
Der Morgen graute über den Hochflächen von Colorado unweit der Grenze zu New Mexico, doch die Sonne verbarg sich hinter einem Himmel, an dem bedrohliche
Weitere Kostenlose Bücher