Das Geschenk: Roman
Capitol Chief vorher schon mal eine Gesangsshow gegeben, war dies wahrscheinlich das erste ähnliche Ereignis im Southwest Chief.
Lelia wollte Tom mit sich auf die Tanzfläche ziehen, doch es gelang ihm, sich mit Unwohlsein zu entschuldigen, was gar nicht so sehr gelogen war. Er hatte wirklich eine unruhige Nacht hinter sich, die er zum größten Teil in der Gemeinschaftstoilette mit dem Versuch verbracht hatte, allen Alkohol von sich zu geben, den er zuvor in sich hineingeschüttet hatte. Die arme, tanzpartnerlose Lelia schaute sich suchend um und entdeckte Kristobal, der soeben damit beschäftigt war, die Videoausrüstung einzupacken.
»Möchten Sie tanzen?«, fragte sie den attraktiven jungen Mann. Kristobal schaute auf, und seine Augen weiteten sich merklich beim Anblick ihrer glamourösen Figur in der schicken Aufmachung.
»Sie arbeiten für Mr Powers, nicht wahr?«
Kristobal nickte.
»Ich bin Lelia Gibson.«
Seine Augen wurden noch größer, und er platzte heraus: »Lelia Gibson, die Stimme von Cuppy, dem Wunderbiber?«
»Ja«, sagte Lelia verdutzt. »Sie kennen die Serie?«
»Ob ich sie kenne? Sie war meine Lieblingssendung, als ich ein Kind war! Mein kleiner Bruder ist noch immer hin und weg davon, und all meine Nichten und Neffen genauso. Cuppy ist ihr absoluter Liebling. Sie sind sensationell! Ich habe Sie gestern Abend auf Mr Powers’ Party gesehen, wusste Ihren Namen aber noch nicht. Ich kannte Sie nur von Ihrer Stimme.«
Lelia war sichtlich verwirrt. »Sie haben die Filme als Kind gesehen? Du liebe Güte, ich scheine die Serie ja schon eine halbe Ewigkeit zu machen.«
Kristobal ließ jede Zurückhaltung und professionelle Selbstkontrolle fahren, so überwältigt war er. »Und Sassy das Eichhörnchen, Freddy der Futon und Petey die Saure Gurke – alles sind Klassiker! Ich hab sogar geweint, als Petey in der Regenrinne landete und sämtliche Farbe verlor. Was für eine dramatische Tiefe Sie ihm in dieser tragischen Szene verliehen haben! Ich habe Wochen gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Ich will nicht zu schwärmen anfangen, aber ich kann einfach nicht glauben, dass Sie in diesem Zug sind! Wäre es unverschämt, Sie um ein Autogramm zu bitten? Meine Familie wird es nicht fassen, und mein kleiner Bruder dreht garantiert durch.«
»Natürlich bekommen Sie ein Autogramm, Mister …«
»Oh, wo sind meine Manieren? Ich bin Kristobal Goldman.« Er schüttelte Lelia so heftig die Hand, dass es sie beinahe aus ihren unverschämt teuren, zehenfreien hochhackigen Sandaletten hob.
»Ich sag Ihnen was, Kristobal, ich gebe Ihnen mein Autogramm auf alles, was Sie mir hinhalten, wenn Sie nur mit mir tanzen.«
Ein total verblüffter Kristobal verbeugte sich, und schon walzten sie los.
Während jeder durch die Hochzeit und die anschließende Party abgelenkt war, wurden zwanzig weitere Abteile um verschiedene Gegenstände erleichtert – von Uhren über Ringe und Armbänder bis hin zu Max’ teuren Bruno-Magli-Schuhen. Auch diesmal konnte der Dieb sich unbehelligt davonstehlen, wenngleich jemand auf dem Gang lauerte, der möglicherweise etwas Verdächtiges bemerkt haben konnte. Doch es wurde kein Alarm ausgelöst, und der Dieb mischte sich rasch wieder unter die Partygäste. Der Sack mit dem Diebesgut war praller gefüllt als je zuvor, und der Southwest Chief hatte noch immer einen ganzen Tag vor sich, ehe er planmäßig in LA eintreffen sollte.
In der Nacht vor der Hochzeit hatte das Unwetter sich über der Grenze zwischen Colorado und New Mexico festgesetzt. Durch ein Hochdrucksystem praktisch an Ort und Stelle festgehalten, waren die Wolken nun so sehr mit Feuchtigkeit gesättigt, dass heftige Schneeschauer nur eine Frage der Zeit waren.
Der erste kam gegen drei Uhr morgens, als der Chief noch rund acht Stunden Fahrtzeit von der Gegend entfernt war, in der die Schneemassen niedergingen. Die Behälter zum Messen der Schneehöhe waren binnen einer Stunde randvoll, und die besonders widerstandsfähigen Instrumente zum Ermitteln der Windgeschwindigkeit gaben nach einer halben Stunde den Geist auf. Sämtliche Passagierflüge wurden in weitem Bogen um die Gegend herumgeleitet, und die Straßen zu den Skizentren der Region wurden geschlossen.
Der Raton Pass hatte bereits fünf Winterstürme überstanden; der Schnee auf den Berggipfeln der Gegend war von extrem tiefen Temperaturen und dem eigenen Gewicht förmlich festgebacken. Doch als das neuerliche Unwetter losbrach, geschahen zwei Dinge: Die
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