Das Geschenk: Roman
Temperaturen stiegen um einige Grade, und der Neuschnee fiel so schnell und in solchen Mengen, dass er nicht auf der alten Schneedecke liegen blieb, sondern abrutschte und weitere Schneemassen mit sich riss. Binnen kürzester Zeit entwickelten sich gewaltige Kräfte. Um sieben Uhr herrschte das Chaos. Gegen halb zehn ließ der Sturm dann plötzlich nach. Die Meteorologen verkündeten, dass die Wetterlage sich schlagartig bessern und der Blizzard dank einer Änderung der Windrichtung nach Norden und Osten abwandern würde.
Bei einem plötzlich einsetzenden Wolkenbruch hatte jemand einmal zu Mark Twain gesagt, er hoffe, das Unwetter würde bald aufhören, worauf Twain erwiderte, die Wahrscheinlichkeit wäre extrem hoch, denn Unwetter hörten immer irgendwann auf. Außerdem sei das Wetter im Allgemeinen sehr entgegenkommend: Wenn es einem nicht gefiel, erklärte Twain, brauche man nur mehr oder weniger lange zu warten, und schon ändere es sich. Twain hatte nie viel von Wettervorhersagen gehalten, weil er zweifellos und vernünftigerweise zu dem Schluss gelangt war, dass die Wissenschaft der Vorhersage, was die Pläne von Mutter Natur betraf, bestenfalls vage, schlimmstenfalls völlig sinnlos war.
Doch einige Dinge hatten sich nicht geändert. Trotz Wettersatelliten und Doppler-Radar und anderer moderner technischer Einrichtungen, die ihnen bei der Arbeit halfen – die Meteorologen, die das derzeitige Unwetter beobachteten, taten, was Meteorologen oft tun: Sie irrten sich. Der Blizzard hatte sich lediglich ein wenig ausgeruht. Nun warteten Millionen Tonnen Pazifikdampf und orkanartige Stürme darauf, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen.
KAPITEL 27
Die meisten Partygäste hatten sich mittlerweile zurückgezogen, doch Max und Misty, Kristobal und Lelia sowie Herrick Higgins saßen noch im Salonwagen. Tom und Eleanor hatten das Fest verlassen, kaum dass Roxanne ihren Auftritt beendet hatte, und waren seitdem nicht mehr gesehen worden. Roxanne hatte wieder ihren Eisenbahnjob aufgenommen und dafür gesorgt, dass der Knabenchor nach seiner Glanzleistung in sein Quartier zurückkehrte. Nunmehr verheiratet, hatte man Steve und Julie eine Luxus-Doppelsuite überlassen, in der sie nun mit sicherlich leidenschaftlicher Hingabe hochoffiziell ihre Hochzeitsnacht verbrachten.
Der Chief hatte Trinidad, Colorado, weit hinter sich gelassen und den Raton Pass entschlossen ins Auge gefasst. Alle verfolgten fasziniert, wie der Zug mit dem Aufstieg begann. Im gleichen Maße, wie die Strecke steiler und das tiefe Brummen der Lokomotiven lauter wurde, breitete sich zunehmendes Unbehagen unter den Fahrgästen aus. Die Unmengen Schnee, die vom Pflug der vorderen Lok von den Gleisen geschoben wurden, waren in jeder Kurve zu sehen. Es war ein Wunder, dass der Lokführer bei dem weißen Wirbel, in dem die Landschaft regelrecht ertrank, überhaupt etwas erkennen konnte.
Kristobal äußerte seine Bedenken. »Äh … was passiert eigentlich, wenn einer der Waggons sich von den anderen löst? Rasen wir dann bergab und stürzen in die nächste Schlucht?«
Higgins schüttelte den Kopf. »Nein. Dann wird das automatische Bremssystem aktiviert, und der Wagen wird angehalten. Die Eisenbahntechnik hat im Lauf der Jahre große Fortschritte gemacht.« Er zeigte aus dem Fenster. »Der höchste Punkt, den wir auf dieser Strecke erreichen, liegt auf 7580 Fuß.«
»Das ist aber sehr hoch«, stellte Kristobal fest.
»Aber längst nicht der höchste Punkt einer Eisenbahnstrecke in den USA. Den erreicht der California Zephyr hinter Denver bei knapp über 9200 Fuß. In Südamerika – ich habe vergessen, in welchem Land – führen die Gleise in eine solche Höhe, dass Sauerstoffflaschen an die Fahrgäste verteilt werden. Wir müssen durch einen Tunnel, ungefähr eine halbe Meile lang, der unterhalb des Passes durch die Felsen führt. Sobald wir den Tunnel verlassen, sind wir in New Mexico. Auf der anderen Seite steigen wir am Osthang der Sangre de Christo Mountains ab und gelangen nach Raton. Die Stadt liegt auf 6666 Fuß. Deshalb ist es nicht allzu weit vom Pass, auch wenn der Abstieg ziemlich steil ist.«
Misty schwankte und griff nach Max’ Arm. »Sagten Sie 6666 Fuß?«
Higgins musterte sie über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg. »Ja, Ma’am.«
»Sind Sie ganz sicher, dass es so hoch ist? Ganz genau?«
»Hm, ja, Ma’am. Normalerweise sind die Messungen in solchen Fällen ausgesprochen präzise.«
»O Gott!«, sagte Misty.
»Ist was
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