Das geschenkte Leben
oder willst du mich anmalen?«
»Beides. Das ist die Idee. Eine Nova.«
Sie legte ihren Jerseyanzug weg und wandte sich um. »Beides? Das verstehe ich nicht.«
»Beides. Wirst sehen.« Er ließ seinen Blick über sie gehen und lächelte plötzlich. »Und beide Arten von Inspiration.«
»Gut«, sagte sie. »Lieber vorher, sonst verschmiert die Farbe.«
»Nicht zu hungrig?«
»Das Essen kann ein bißchen warten; komm!«
Bald darauf dachte Eunice froh, wie gut es sei, daß sie den lieben Jake nicht hatte machen lassen; verglichen mit dem, was sie zu Hause haben konnte, wäre es eine Enttäuschung gewesen. Wirklich, es war am besten, eine treue Ehefrau zu sein. Meistens. Was für ein wundervoller, außergewöhnlicher Tag! Sollte sie Joe von ihrem neuen Status und der großen Gehaltsaufbesserung erzählen? Nun, das eilte nicht. Aber lange würde sie die Neuigkeit nicht für sich behalten können …
Dann hörte sie auf, zusammenhängend zu denken. Eine Weile später öffnete sie ihre Augen und lächelte zu ihm auf.
»War es gut?« fragte er.
»Genau was ich brauchte.« Sie umarmte ihn. »Ich bin froh, daß ich dich habe, Joe. Wenn du willst, kann ich dir jetzt Modell stehen und zwischendurch essen.«
»Ganz vergessen; Mama hat geschrieben. Willst du lesen?«
»Natürlich. Laß mich hoch.«
Er holte den Brief, noch ungeöffnet. Sie riß das Kuvert auf, entfaltete das Papier und überflog den Text, um zu sehen, wieviel Zensur vonnöten wären, wenn sie daraus vorlas. Aha! Da war schon, was sie erwartet hatte, die periodische Drohung mit einem ›netten kleinen Besuch von ein paar Tagen‹. Nun, sie wußte, wie sie das verhindern konnte. Ausgeschlossen! Bloß durfte Joe nichts davon wissen, denn er konnte seiner Mutter keinen Wunsch ausschlagen. Dieser eine Besuch vor drei Jahren war ein Besuch zuviel gewesen, dabei hatten sie damals noch zwei Zimmer gehabt. Dann waren sie in dieses große Einzimmer-Appartement umgezogen, das sie für Joe und sich gefunden hatte – nicht ohne den Hintergedanken, künftige Besuche ihrer Schwiegermutter durch geplanten Platzmangel unmöglich zu machen. Und nun wollte die alte Klette trotzdem kommen, wenn auch nur für ein paar Tage? Nein, Mama Branca, ich werde nicht zulassen, daß du unser glückliches Nest mit deiner erstickenden Gegenwart ruinierst! Du bleibst, wo du bist und lebst von der Wohlfahrt … und zum Geburtstag werde ich dir einen Scheck schicken und dich denken lassen, es sei ein Geschenk von Joe. Aber das ist alles!
»Was schreibt sie?«
»Das übliche. Ihr Magen macht ihr immer noch zu schaffen, aber sie geht jetzt zu einem anderen Arzt, der ihr empfohlen wurde, und hofft, daß es doch noch besser wird. Aber laß mich von vorn anfangen. ›Mein lieber Junge, es gibt nicht viele Neuigkeiten, seit ich dir zuletzt schrieb, aber wenn ich nicht schreiben würde, bekäme ich nie einen Brief von dir. Bitte laß mich wissen, wie es dir geht, welche Pläne du hast und wie es mit deiner Arbeit vorangeht. Ich weiß, daß die meisten freien Künstler es schwer haben, und ich bin bekümmert, daß ich dir nicht helfen kann, aber meine Unterstützung reicht kaum für das Nötigste. Da ist es schon eine Beruhigung, zu wissen, daß Eunice eine gute Stellung hat. Sie ist ein sehr nettes Mädchen, obwohl ich manchmal denke, daß ein Mädchen deiner Religion besser für dich gewesen wäre …‹«
»Haha!«
»Ich denke mir nichts dabei, Joe. Und du brauchst gar nicht zu antworten. Morgen abend werde ich mir Zeit nehmen und ihr einen langen Brief schreiben, damit sie sich freut. Gut, ich übergehe den Rest von diesem Absatz; wir wissen ja, was sie von Protestanten hält. Oder Exprotestanten. Was sie wohl denken würde, wenn sie uns ›om mani padme hum‹ singen hörte …«
»Mir egal.«
»Aber Joe! Sie ist deine Mutter.« Eunice übersprang den Rest, dann auch noch den nächsten Absatz mit dem Besuchswunsch, und las weiter: »›Angela erwartet ihr zweites Baby. Die Inspektorin ist wütend auf sie, aber ich habe der Inspektorin die Meinung gesagt, und das lehrte sie, glaube ich, anständige Leute nicht zu drangsalieren. Warum soll Angela bloß ein Kind erlaubt sein, wenn die reichen Familien hier in der Stadt Lizenzen für vier und fünf Kinder bekommen? Ich weiß, es ist nur, weil wir eingewanderte Italiener und arm sind. Die Inspektor in hat das abgestritten, natürlich. Ich kann nicht verstehen, warum sie uns nicht in Ruhe lassen.‹ Welche von deinen Schwestern ist
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