Das geschenkte Leben
wartet.«
»Sagen Sie ihm bitte, ich käme gleich.«
Joan wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stürzte sich in Winnies Arme und kicherte an ihrer Schulter: »Winnie, hast du dich auch umgedreht? Oder hast du geblinzelt?«
»Ich habe mich umgedreht, aber ich konnte im Spiegel alles beobachten. Wau!«
»Ja, wirklich! Nun weiß ich wenigstens, wie das ist. Ich fühle mich jetzt auch nicht mehr ganz so jungfräulich.«
»Ist er gut? Es sah jedenfalls so aus.«
»Ich weiß nicht, ich habe doch keine Vergleichsmöglichkeiten. Wenn Jake mich küßt, dann eher auf onkelhafte Weise. Und du bist ein Mädchen. Der Doktor ist der erste Mann, der mich richtig geküßt hat. Ich bin jetzt noch völlig verwirrt. Hast du ihn nie geküßt?«
»Ihn? Joan, wenn ich einer der Schwestern davon erzählte, würde mir das keine glauben. Dr. Garcia tätschelt einem nicht mal den Hintern. Er nörgelt immer bloß.«
»Meinen Hintern hat er getätschelt. Glaube ich jedenfalls. Ich war etwas durcheinander.«
»Ich weiß, daß er es getan hat, ich hab’s schließlich gesehen und konnte es kaum glauben.«
*
»Ich bitte um Ruhe, oder ich lasse den Saal räumen. Ruhe! Mr. Train, darf ich Ihre Einlassungen dahingehend interpretieren, daß Miss Smith – diese junge Dame, auf die ich zeige – nicht mit Johann Sebastian Smith identisch ist?«
»Ich behaupte nichts, Herr Vorsitzender. Ich stelle nur fest, daß dem Gericht keine eindeutigen Beweise vorgelegt wurden, daß die fragliche Person, auf die Sie eben zeigten, Johann Sebastian Smith ist. Ich stelle ferner fest, daß die Frage der Zurechnungsfähigkeit nicht verhandelt werden kann, bis ein zweifelsfreier Identitätsbeweis erbracht wird.«
»Mr. Train, versuchen Sie dieses Gericht in Verfahrensfragen zu unterweisen?«
»Oh, keineswegs!«
»Es hörte sich so an. Darf ich Sie daran erinnern, daß dieses Gericht heute zu einer Sitzung zusammengetreten ist, bei der nach den Grundsätzen des Billigkeitsrechts lediglich über das Fortbestehen oder die Aufhebung einer Vormundschaft zu befinden ist? Da es sich also nicht um ein Verfahren nach dem Zivilrecht handelt, ist das Gericht frei, diejenige Verfahrensweise zu wählen, die es für richtig hält.«
»Selbstverständlich, Herr Vorsitzender. Im Namen meiner Mandanten muß ich jedoch dagegen protestieren, daß die Frage der Zurechnungsfähigkeit durch einen Verfahrenstrick von der Frage nach der tatsächlichen Identität des Mündels abgetrennt wird.«
*
»… da ich der fortgesetzten Unruhe auf den Zuschauerbänken überdrüssig bin, lasse ich den Saal räumen. Gerichtsdiener, ich bitte um Veranlassung. Die beteiligten Anwälte und ihre Mandanten werden sich in mein Beratungszimmer zurückziehen, um gemeinsam mit mir eine Klärung dieser albernen Streitfrage herbeizuführen.«
»Jake, dieses Ding ist gut! Wenn ich nicht ich bin, dann bin ich mittel- und obdachlos. Du wirst mich heiraten müssen, wenn du nicht willst, daß ich ein Fall für die Wohlfahrt werde.«
»Johann, laß dieses Gefasel. Die Sache ist ernst.«
Richter MacCampbell führte sie in einen mit Ledersesseln und Teppichen behaglich eingerichteten Raum, der an das Foyer eines kleinen Hotels erinnerte. Er sah sich um.
»Mmm … Jake, Ned, Miss Smith, Alec, Mrs. Seward, Mrs. Frabish, Sie sind Mrs. Crampton, nicht wahr? Und Mrs. Lopez. Mr. Parkinson, wie sind Sie hier hereingekommen?«
»Amicus curiae, Herr Vorsitzender.«
»Sie sind kein Freund dieses Gerichts und gehören nicht hierher.«
»Aber …«
»Wollen Sie diesen Raum freiwillig verlassen, oder wollen Sie lieber hinausgeworfen werden?«
Parkinson zog es vor, zu gehen. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte und die anderen ihre Plätze einnahmen, sagte der Richter: »Sperling, stellen Sie das Aufnahmegerät so ein, daß ich es nach Bedarf ein- und ausschalten kann; dann dürfen Sie gehen. Alec, du siehst aus, als wolltest du Einwände machen.«
»Ich? Oh, keineswegs. Ich muß aber im Interesse meiner Mandanten bemerken, daß ich gegen eine etwaige Verwendung dieser Tonaufzeichnung in einem späteren Verfahren Einspruch erheben werde.«
»Du bist ein lästiger Mensch, Alec. Nun, wir werden uns einen Weg durch den Nebel bahnen, der diese alberne Geschichte einhüllt.« Der Richter trat zu einer Schankbar in der Ecke. »Alec? Gin-Tonic wie üblich?«
»Ja, danke.«
»Oh, ich habe die Damen vergessen, Mrs. Seward? Etwas Alkoholisches? Oder Kaffee? Diese Maschine
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