Das Gesetz der Balance - chinesisches Gesundheitswissen für ein langes Leben
Beweis stellen – eine komplette Analyse.
In einem traditionellen, volkstümlichen Sprachverständnis dürfen wir also die Begriffe Herz, Lunge, Leber, Niere und Milz durchaus benutzen. Nur sollten wir nicht vergessen, dass wir mit ihnen keine Organe benennen, sondern Fähigkeiten und Funktionen, für die das Organ quasi symbolisch steht.
Aus dieser – chinesischen – Sicht ist eine Herzschwäche also nicht ein Krankheitsbild für den Kardiologen. Genauso wenig wird ein europäischer Gastroenterologe etwas mit einer »chinesischen« Milzschwäche anfangen können. Dagegen zeugt das Sprichwort von der Laus, die einem über die Leber gelaufen ist, von einer großen Nähe zum chinesischen Verständnis, da die sprichwörtliche Laus den Betreffenden in seiner Zielsetzung und Handlungsweise beeinflusst.
NIEMAND IST EIN »TYP«
An dieser Stelle möchte ich mit einem Missverständnis aufräumen, das durch westliche Fehlinterpretation entstanden ist. Viele Autoren haben aus dem Modell der Funktionskreise fünf Typen konstruiert, nach denen sie die Menschheit differenzieren. Sie zeichnen ein Bild des Leber-Typen oder des Milz-Typen mit bestimmten Vorzügen und Schwächen.
Dementsprechend stellen sie Pro- und Kontra-Listen auf, etwa von Nahrungsmitteln oder äußeren Einflüssen, und legen fest, wodurch der jeweilige Typus gestärkt oder geschwächt wird.
Der methodische Fehler liegt darin, dass jeder Mensch vom Zusammenspiel aller fünf Funktionskreise lebt und niemand auf einen Funktionskreis reduziert werden kann. Insofern kann man auch die Gesundheit nicht erhalten, indem man auf nur einen Funktionskreis Einfluss nimmt. Vielmehr muss die innere Balance jedes einzelnen Funktionskreises und auch zwischen den Funktionskreisen hergestellt werden. Diese Balance gelingt uns in manchen Bereichen leichter, in anderen weniger gut – je nach Begabung, Veranlagung und Lebensweise.
Dem traditionellen Verständnis der chinesischen Medizin zufolge ist unser Ziel nicht die Spezialisierung auf einen Funktionskreis, sondern der innere Ausgleich. Aus diesem Grunde finden Sie in meinem Buch auch keine einseitigen Trainingsvorschriften für Ihren »Lieblingsfunktionskreis« und ebenfalls keine entsprechenden Ernährungslisten. Ich möchte Sie nämlich gar nicht erst in Versuchung führen, die Einseitigkeit zu kultivieren.
Es ist doch gerade das Gute an der TCM, dass sie uns hilft, die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Funktionen zu begreifen und ein Gefühl für die Kooperationen in unserem Organismus zu entwickeln. Wenn Sie sich also bei der Lektüre dieses Buches bei mehreren Funktionskreisen angesprochen fühlen, dann liegen Sie genau richtig!
INDIVIDUELLE DIAGNOSE UND THERAPIE
Die Stärke des Funktionskreismodells liegt in der Beobachtung ineinander verzahnter Funktionen, die je nach Bedarf vom Organismus abgerufen werden. Obwohl jeder Mensch prinzipiell dieselben Funktionen hat, so gibt es doch deutliche konstitutionelle Unterschiede.
Die Dynamik, Vitalität und Reaktionsfreudigkeit, die Leistungsfähigkeit, das Temperament oder die Fähigkeit zu Ruhe und Konzentration sind bei jedem von uns anders.
Dazu kommt, dass sich all diese Funktionen verändern, wenn wir krank werden. Auch diese krankheitsbedingten Änderungen sind individuell sehr verschieden. Daher dürfen sie nur jeweils auf den ganz besonderen Patienten bezogen interpretiert werden. Die Schlüsse, die ein TCM-Arzt zieht, gelten für diesen einen Menschen und sonst für niemanden.
Unsere westliche Medizin dagegen neigt dazu, Vergleiche zur Durchschnittsbevölkerung anzustellen, was dem Einzelnen kaum gerecht wird. Denken Sie z. B. an einen körperlich sehr gut trainierten Menschen. Wenn sich seine überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit durch eine Krankheit verschlechtert, nimmt er dies als deutliche Einschränkung wahr, obwohl er aus statistischer Sicht immer noch »guter Durchschnitt« sein mag. Doch was zählt – Statistik oder die individuelle Biografie?
BEOBACHTUNG UND WAHRNEHMUNG
Das Funktionskreismodell liefert uns eine hervorragende Basis zur vernetzten Beobachtung.
Dabei stehen alle Beobachtungen gleichwertig nebeneinander, keine sollte über- oder unterbewertet werden.
Krankheitsrelevante Störungen drücken sich eben nie in nur einem Symptom aus, sondern treten auf verschiedenen Ebenen hervor. Nehmen wir noch einmal die eingeschränkte Leistungsfähigkeit als Beispiel. Sie zeigt sich gewiss in einem Mangel an körperlicher
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