Das Gesetz der Balance - chinesisches Gesundheitswissen für ein langes Leben
lebendigen Abläufe bestimmt – sei es in der Natur oder in unserem Organismus.
Wenn wir den Organismus als Staatsgefüge betrachten, so wurde die Leber als »Heerführer«, das Herz als »Fürst« bezeichnet. Die Milz hat dagegen die Aufgabe des »tadelnden Beamten«, ist die »Instanz der kritischen Überlegung«.
PATIENTENGESCHICHTE
Frau R. ist 38 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Sie sieht zerbrechlich aus, wiegt bei 162 cm noch 47 kg und kommt in Behandlung wegen ihrer Nahrungsmittelallergien. Sie schleppt einen Aktenordner mit Befunden mit zur ersten Untersuchung: Ergebnisse von Allergietests und Magen- und Darmspiegelung, Auswertungen von diversen Immunlabors, Bioresonanztestungen, Zahnherdanalysen. Immer wieder ergaben Tests von Nahrungsmitteln, dass sie eigentlich fast nichts essen dürfte. Daran hält sie sich auch. Sie lässt Milchprodukte, Zucker, Kohlensäure, Alkohol und synthetische Farbstoffe weg und meidet auch rotes Fleisch, diverse Gemüsesorten sowie Obstsäuren. Die wenigen Nahrungsmittel, die sie zu sich nimmt, bezieht sie aus dem Reformhaus; für ihre beiden Kinder muss sie jedoch »normal« kochen.
Trotz der diätetischen Beschränkungen geht es ihr nicht gut. Sie leidet an Durchfällen, massiven Blähungen und Rumoren im Bauch, Schwächezuständen und Nervosität. Der Verdacht auf eine Colitis ulcerosa, eine chronischentzündliche Darmerkrankung, hatte sich nie bestätigt, deshalb wurde sie von den Ärzten immer wieder mit der Diagnose Anorexie konfrontiert und sollte schon lange in eine psychosomatische Klinik eingewiesen werden.
Aber ihre Mutterpflichten ließen dies nicht zu, denn eine entsprechende Behandlung sollte mindestens sechs Wochen dauern.
Zur Erstuntersuchung kam sie mit der Frage nach Diätempfehlungen, was sie essen könne, welche Zubereitung sie vertragen könnte.
Dabei wusste sie eigentlich schon alles über schädliche Stoffe, über Gluten und Lactose, über Radikalfänger und oxidativen Stress. Das ganze Wissen half ihr aber nicht, einen praktikablen Weg für eine Ernährung zu finden, bei der sie ihr Gewicht halten und Kräfte entwickeln konnte. Ihr Wissen hatte sie dazu gebracht, allen Lebensmitteln gegenüber argwöhnisch und vorsichtig zu werden. Sie konnte nicht mehr unbedarft essen oder gar genießen und ihr Zustand verschlechterte sich trotz ständiger extremer Zurückhaltung.
Ich erklärte Frau R., dass ein solcher Zustand durch Diätmaßnahmen nicht zu verbessern sei. Der intensive Reizzustand, in dem sich ihr Verdauungssystem befand, musste zunächst medikamentös beruhigt werden, um einen Zustand zu erreichen, in dem sie sich wieder einigermaßen normal ernähren könnte. Ihren Einwand, sie könne doch niemals Dinge essen, gegen die sie allergisch sei, konnte ich entkräften, da es sich bei ihr nicht um Allergien, sondern um Unverträglichkeitsreaktionen einer komplett streikenden Mitte handle.
Aus chinesischer Sicht handelt es sich um den Widerstreit zweier Kräfte: eine gierige, aufnahmewillige Kraft korrespondiert mit einer schützenden, sich verweigernden. Dies macht die Mitte eng, empfindlich und übererregt.
Die Situation ähnelt einem Kampf, in den sich zwei Parteien verbissen haben. Keiner kann gewinnen, das Ergebnis ist ein klassisches Patt. Die Mitte ist lahmgelegt.
Es reicht nicht aus, sich mit der Situation zu arrangieren: Man muss sie lösen, das Kampfgewühl entflechten. Das Bild des inneren Widerstreits war Frau R. geläufig; sie lächelte betroffen und fühlte sich irgendwie ertappt.
»Dass mein Bauch genauso tickt wie mein Kopf, hätte ich nie gedacht!«, meinte sie und erwartete gespannt die Behandlung.
Die TCM-Diagnostik ergab bei Frau R. das Bild der »Magen-Hitze«, einen Zustand der Übersteuerung der Mitte bei gleichzeitiger Beeinträchtigung der Darmfunktionen. Die Auflösung solcher Krankheitsbilder bedarf sorgfältiger Anpassung des Dekokts an die individuelle Situation. Nach vier Versuchen hatten wir eine Rezeptur gefunden, die Frau R. erste Linderung ihrer Beschwerden verschaffte. Wesentlicher Bestandteil dieser Rezeptur war der Chinesische Enzian, Gentiana scabra .
Monate später blieb von den vielen Unverträglichkeiten nicht mehr viel übrig. Die Angst vor dem Essen war gewichen, Frau R. konnte sich weitgehend am normalen Familienessen beteiligen. Bei schwer verdaulichen Gemüsesorten hielt sie sich noch zurück. Die Mengen, die sie zu sich nahm, waren klein, aber bei mittlerweile 50 kg
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