Das Gesetz der Neun - Goodkind, T: Gesetz der Neun - The Law of Nines
wie ihm in diesem Augenblick klar wurde. Wenn überhaupt, so hatte sie ein geschöntes Bild der grausigen Realität gezeichnet.
Ein plötzliches Verschwinden aller technischen Errungenschaften hätte unvorstellbares Leid und Sterben zur Folge. Ohne all die Fabriken und weit verbreiteten Technologien, über die sich die Menschen ständig beklagten, könnten sie von Glück reden, wenn sie für ihr Überleben genug Würmer aus der Erde buddeln konnten.
Er machte eine vage Handbewegung. »Aber die Menschen bei Ihnen können stattdessen doch Technik einsetzen, um ihre Gebäude zu errichten und all die Dinge des täglichen Bedarfs herzustellen – wie wir auch. Alles, was wir haben, haben die Menschen aus dem Nichts erschaffen.«
Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Wie viele Jahrtausende habt ihr in einer dunklen, nur vom Feuerschein beleuchteten Welt gelebt?«
Er wusste, sie hatte recht.
»Die Menschen hier haben Jahrhunderte gebraucht, um all die Dinge zu erschaffen, zu finden und zu entdecken, die das Leben erleichtern. Auch wir haben zahllose Äonen benötigt, um vergleichbare Talente zu entwickeln, die uns ein Leben ohne die verbreitetsten Plagen und Nöte ermöglichen, Talente, die uns die günstigste Zeit zum Pflanzen und die günstigste Erntezeit verrieten. Ohne sie würden Tausende verhungern. Die Liste dieser Beispiele ist endlos, und doch behauptet Radell Cain, dass diese Erleichterungen widernatürlich und von Übel sind.
Wegen seines Herrschaftsanspruchs, und weil er für seine Machtergreifung einen Sündenbock benötigt, werden alle unsere Errungenschaften für immer verloren gehen – unwiederbringlich.«
»Aber warum sollte dieser Cain so etwas wollen? Er würde über eine Wüste herrschen.«
Jax hob eine Augenbraue. »Du hast es gerade selbst gesagt – er würde herrschen. Für die Erlangung uneingeschränkter Macht ist er bereit, eine ganze Zivilisation zu vernichten.
Würde ihn das Schicksal der Menschen unter seiner Herrschaft wirklich interessieren, würde er die Menschen nicht zu einem solchen Hass auf alle Werte anstacheln. Er würde nicht die Opfer für die an ihnen begangenen Verbrechen verantwortlich machen, den Unschuldigen nicht die Schuld für jedes Misslingen in die Schuhe schieben. Er würde an der Lösung der Probleme arbeiten, statt sie zur Erlangung uneingeschränkter Macht zu missbrauchen.
Hat er sein Ziel erst erreicht, wird er unangreifbar sein. Er wird über eine Welt voller Kälte und Hunger herrschen, vor allem aber wird er herrschen und in all dem Luxus schwelgen, den sein Herz begehrt. Das Wenige, das noch existiert, unterliegt
seiner Kontrolle, und etwas anderes interessiert ihn eigentlich nicht. Mitgefühl für andere ist für ihn ein absolutes Fremdwort. Das Einzige, was für ihn zählt, ist die Befriedigung seiner Gier. Ob ein paar Millionen dafür sterben müssen, spielt im Grunde keine Rolle – Tote brauchen nichts zu essen.«
Den Blick starr in die Ferne gerichtet, hörte Alex zu. »Schwer zu glauben, dass es Menschen gibt, die so etwas mit sich machen lassen.«
Jax seufzte. »Ich weiß. Uns fällt es ebenso schwer, das zu glauben. Und doch unterziehen sich Tag für Tag Menschen einer Prozedur, die ›Säuberung‹ genannt wird und die der Entfernung aller mit der Gabe gesegneten Talente dient – der Magie. Nach dieser Wiedergeburt ist die Magie, mit der sie einst auf die Welt kamen, für immer verloren. Zum ersten Mal in ihrem Leben, so erzählen sie es anderen, fühlen sie sich frei, und bedrängen sie, ihre mit einem ›Makel‹ behafteten Talente ebenfalls aufzugeben. Die Menschen stehen scharenweise Schlange, um sich all den anderen anzuschließen und ihre Tugendhaftigkeit zu beweisen.«
Jax sah fort, als ihr die Tränen kamen. »Das ist das Schlimmste. Dass so viele ihre einzigartigen Talente und sich selbst nicht wertschätzen. Und noch weniger all jene respektieren, die für diese Entscheidungsfreiheit gekämpft und gestorben sind, die es ihnen erst ermöglicht haben, ihr wertvolles Wahlrecht preiszugeben – mitsamt ihrer Gabe und ihrer Individualität.«
Sie krallte ihre Faust in die Decke. »Oft denke ich, sie haben es nicht anders verdient. Ich bedauere nur, dass all diejenigen unter uns, die unsere Errungenschaften zu schätzen wissen, dasselbe Schicksal erleiden werden. Für sie kämpfe ich. Und zur Hölle mit all den anderen.«
Der Schmerz, der so unverkennbar aus ihren Worten sprach, ließ Alex schlucken. »In unserer Welt gibt es
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