Das Gesetz der Neun - Goodkind, T: Gesetz der Neun - The Law of Nines
beugte sich ein Stück vor, um die auf dem zweiten Glasboden von oben ausgelegten Gegenstände genauer zu betrachten. Auf einem Kärtchen stand ›ausgewählte Einzelstücke‹. Als die Frau sah, wofür Jax sich interessierte, hängte sie das Kettchen wieder zurück und richtete ihre Aufmerksamkeit ganz auf den mittleren Schaukasten.
Vorsichtig zog Jax eine Figur aus dem Hintergrund nach vorn.
Die Wahl schien die Ladenbesitzerin zu erfreuen. »Ah, Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack.«
Jax nahm die Figur in die Hand. Es war ein Acrylguss einer
anmutig geformten Frauengestalt mit langem, fließendem Haar in einem schlichten weißen, rechteckig am Hals ausgeschnittenen Kleid.
»Die geheimnisvolle Frau«, bemerkte Mary fast ehrfurchtsvoll.
Jax blickte auf. »Bitte?«
»Sie wird ›Die geheimnisvolle Frau‹ genannt.«
»Tatsächlich?«, warf Alex ein, nach Kräften um einen munteren Tonfall bemüht. Er wollte nichts als raus aus diesem Laden, denn ihm war nicht entgangen, wie sehr er Jax insgeheim verstörte. »Also, wir …«
»Es ist eine sehr alte Figur.« Die Frau beugte sich näher. »Ich bin schon seit siebenundzwanzig Jahren Besitzerin dieses Geschäfts, und doch begegne ich nur selten Exemplaren von einer solch besonderen Persönlichkeit.«
»Seit siebenundzwanzig Jahren«, wiederholte Alex. »Wenn das keine Überraschung ist.« Er sah Jax ihm einen Seitenblick zuwerfen.
»Ja, Sie haben recht. In dieser Zeit haben ich die ›geheimnisvolle Frau‹ in verschiedenen Ausführungen zum Verkauf angeboten gesehen. Es waren aber immer prachtvolle Stücke, so wie dieses hier. Ich habe gerne eins davon im Laden. Dieses typische Kleid ist ihr Markenzeichen. Daran kann man sie erkennen.«
»Wirklich«, sagte Alex, das Augenmerk eher auf Jax gerichtet.
»Aber ja«, seufzte Mary. »Offenbar haben nur wenige Interesse daran, sie zu sammeln. Normalerweise habe ich jede Figur eine ganze Weile im Laden stehen, ehe sie sich verkauft. Trotzdem kann ich nicht widerstehen, ich muss jedes Mal gleich wieder eine neue besorgen, so dass ich stets eine vorrätig habe.«
»Und wieso interessieren sich die Leute normalerweise nicht für diese Figur?«, erkundigte sich Alex.
»Vielleicht, weil so wenig über sie bekannt ist. Über meine besseren Stücke weiß ich eine ganze Menge, aber selbst ich bin mir nicht recht im Klaren über ihre Kräfte.«
»Ihre Kräfte?« Jax sah unvermittelt auf.
»Ganz recht«, meinte Mary. »Es ist nicht bekannt, ob es sich bei ihr um eine Hexenmeisterin handelt, eine weiße Hexe oder irgendeine andere Figur von geheimnisvoller Magie. Aus diesem Grund wird sie ja ›die geheimnisvolle Frau‹ genannt. Ich erkenne sie immer sofort – an diesem Kleid und an ihren langen Haaren. Ich habe nie erlebt, dass sie anders genannt worden wäre, außer von Leuten, die sie nicht kennen.«
»Was wollen Sie damit sagen ›sie kennen‹?«, fragte Jax mit deutlicher Erregung in der Stimme. »Wie sollte irgendjemand sie kennen können?«
Ehrfurchtsvoll nahm sie Jax die kleine Statuette aus den Händen. »Ursprünglich war man in einigen sehr alten Schriften auf diese Figur gestoßen. Wirklich sehr alten Schriften – die überdies von ganz unterschiedlichen Orten stammten. Obwohl sie in jedem dieser Bücher etwas anders aussah, war sie auf den Tafeln in diesen Büchern stets in diesem Kleid abgebildet.« Mit dem Finger zeichnete sie den Halsausschnitt des Kleides nach. »Stets weiß und rechteckig ausgeschnitten. Daran erkenne ich die ›geheimnisvolle Frau‹ immer gleich, wenn ich sie sehe. Sie ist etwas ganz Besonderes.«
»Inwiefern?«, fragte Alex, den die Geschichte langsam in den Bann zu ziehen begann.
Angesichts ihrer interessierten Kundschaft wurde das Lächeln der Ladenbesitzerin breiter. »Nun, sie steckt voller Geheimnisse. Niemand kennt ihre Herkunft, niemand weiß, wer sie ist. Und wie ich schon sagte, niemand vermag zu sagen, welche Kräfte sie besitzt. Aber die hat sie, so viel ist sicher.«
»Woher wissen Sie eigentlich, dass sie diese Kräfte besitzen soll?«, fragte Alex. »Vielleicht war auf diesen Bildern eine Königin oder eine berühmte Frau aus der damaligen Zeit dargestellt – eine Heilige, eine Kunstmäzenin oder Ähnliches.«
»Alex«, raunte Jax, »können wir gehen? Bitte?«
In ihrem ununterbrochenen Redefluss bekam Mary gar nicht mit, was Jax sagte. »Das Wenige, das man aus den alten Schriften weiß, ist skizzenhaft. Allerdings heißt es dort stets, dass sie über
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