Das Gesetz der Vampire
Ashton allerdings als einen Teil ihrer Aufgabe als Mentorin interpretierte. In jedem Fall ging sie weitaus lockerer mit ihm um als zu Anfang.
»Du solltest grundsätzlich niemals etwas tun, wozu du dich nicht berufen fühlst, Ashton«, sagte sie. »Das gilt ganz besonders für das Amt eines Wächters. Zwar bist du von deiner Veranlagung und deiner bisherigen Tätigkeit als Polizist und Jäger dafür geeignet wie nur wenige andere. Aber wenn du dich nicht mit ganzem Herzen dafür entscheiden kannst, würde dein Eid ohnehin nicht angenommen werden.«
»Eid?«
»Jeder Wächter wird besonders ausgebildet wie auch ein menschlicher Polizist, und genau wie menschliche Polizisten oder Soldaten schwören wir einen unserem Amt angemessenen Eid. Allerdings wird der in letzter Konsequenz nicht von den Wächtern akzeptiert oder abgelehnt, sondern von jemand anderem. Mehr darf ich dir darüber nicht sagen, denn das sind Dinge, die nur Wächter wissen dürfen.«
»Ich fühle mich nicht dazu berufen, einer zu werden. Aber ich habe das dringende Bedürfnis, wenigstens einen Teil von dem wieder auszugleichen, was ich euch angetan habe. Leider kann ich die Toten nicht wieder lebendig machen. Mein eigenes Leben dafür herzugeben, würde auch nichts ändern und wäre außerdem verdammt feige von mir. Mit anderen Worten, ich habe keine Ahnung, was zu tun angemessen wäre.«
Stevie sah ihn nachdenklich an, und er hätte gern gewusst, was sie gerade dachte. »Das hängt erst einmal grundlegend davon ab, ob du weiterhin als Vampir leben willst. Falls nicht, nun, in den dreiundsechzig Tagen, die dir von der Gwynal zugesagten Frist noch bleiben, kannst du tatsächlich nicht viel machen. Es sei denn, du ziehst es vor, in ein Kloster zu gehen und dort auf den Knien – oder wie auch immer – Buße zu tun.«
»Ich denke, Vampire können keine Kirche oder Kloster betreten.«
»Nur in schlechten Romanen und Horrorfilmen, weil diese Darstellung zu dem implizierten Image passt, dass wir alle Geschöpfe des Teufels wären. Es ist, wie du feststellen wirst, sobald du mal einen Gottesdienst besuchst, absolut kein Widerspruch, ein Vampir und trotzdem ein gläubiger Christ zu sein. Oder welche Religion du für dich bevorzugst.«
Ashton blickte sie nachdenklich an. »Ich beginne immer mehr zu begreifen, dass wir Jäger überhaupt nichts über euch wissen, außer ...« Er suchte nach Worten.
»Feindpropaganda«, brachte Stevie es auf den Punkt. »Dabei sollte gerade ein Jäger das Wild, das er jagt, besonders gut kennen.« Das klang ausgesprochen ironisch. Sie schüttelte unmittelbar danach reumütig den Kopf. »Entschuldige, Ashton. Ich wollte dich nicht verletzen. Vielleicht brauchst du einfach noch mehr Zeit, um dir darüber klar zu werden, was du wirklich willst. Du musst eine endgültige Entscheidung ja nicht innerhalb der Neunzig-Tage-Frist treffen. Du kannst dir so viel Zeit dafür lassen, wie du willst und brauchst. Du darfst dein neues Leben nur nicht vor Ablauf dieser Zeit beenden. Ich habe allerdings den Eindruck, dass du das auch gar nicht mehr vorhast.«
Sie hatte recht. Ashton hatte sich inzwischen weit genug an seine neue Existenz gewöhnt, dass sie ihren Schrecken nahezu vollständig verloren hatte. Zumindest erfüllte sie ihn nicht mehr mit Abscheu und Ekel.
»Im Moment nicht«, gab er zu. »Die Frage ist nur, ob ich mich wirklich so sehr daran gewöhnen will, dass ich auch weiterhin als Vampir leben möchte. Glaubst du, dass das Heilmittel existiert?«
Die Vampirin schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nie besonders damit beschäftigt. Als ich das erste Mal davon hörte, war ich bereits eine Wächterin und hatte keine Ambitionen mehr, meine Existenz als Vampirin und damit auch dieses Amt aufzugeben. Allerdings haben solche Gerüchte oft einen wahren Kern. Ich schließe die Möglichkeit also nicht aus, dass dieses Mittel tatsächlich existiert oder doch mal existiert hat.«
»Gibt es keinen Vampir, der etwas mehr darüber wissen könnte? Gwynal hat mir zwar einen Hinweis gegeben, aber ich habe bereits im Internet und anderen Quellen recherchiert und nichts darüber gefunden.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich suche ja auch erst seit knapp vier Wochen danach.«
Stevie nickte. »Wenn jemand etwas darüber weiß, dann sind es die ganz Alten. Einer von denen lebt in Atlanta.« Sie blickte ihn nachdenklich an. »Ich werde ihn einfach mal fragen.« Sie griff zum Telefon und drückte eine Kurzwahltaste. »Hi, Sean«, sagte sie
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