Das Gesetz der Vampire
ermordet. Das tut mir unendlich leid, Gwynal. Wenn ich nur früher gewusst hätte …«
Gwynal schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und forderte Ashton mit einem Kopfnicken dazu auf, sich zu ihm zu setzen. »Du hast es nun mal nicht gewusst«, stellte der Vampir ruhig fest. »Deshalb hast du nach deinem damals besten Wissen und Gewissen gehandelt. Und ganz gleich, wie schmerzhaft für einige von uns die Folgen davon sind, das können wir dir schwerlich zum Vorwurf machen. Außerdem«, er zuckte mit den Schultern, »sind wir Vampire zwar insofern unsterblich, dass wir nicht altern, aber wir sind deswegen nicht unverwundbar und sterben alle früher oder später auf die eine oder andere Weise. Das ist uns bewusst, und gerade wir Wächter akzeptieren das, weil unser Beruf unser Leben nicht minder gefährlich macht als das jedes menschlichen Polizisten. Cronos hatte auch eine Menge Feinde unter den Vampiren. Theoretisch hätte jeder von denen ihn jederzeit umbringen können. Ich habe sogar schon verschiedentlich gehört, dass die dich jetzt als ihren Helden feiern, weil du ihn getötet hast.«
»Oh Gott!«, stöhnte Ashton angewidert. »Das ist so ziemlich das Letzte, was ich je gewollt habe.«
»Das muss dich nicht kümmern, Ashton. Du bist nicht für die Gedanken und Gefühle anderer Leute verantwortlich. Vergeude dein Leben nicht mit Schuldgefühlen, mein junger Bruder, sondern blicke nach vorn. Aber jetzt stärke dich erst einmal.«
Gwynal schien sich öfter hier aufzuhalten, denn er war sehr vertraut mit dem Haus der O’Sheas und wusste genau, wo die beiden ihr Geschirr aufbewahrten. Er servierte Ashton sein Frühstück wie ein guter Freund, was diesen sehr verlegen machte.
»Ich vermute mal, dass du und die anderen wegen Morton Phelps hier seid«, brachte Ashton die Sprache auf ein für ihn weniger schmerzhaftes Thema.
»Ja, und wir müssen dir für deine Aufmerksamkeit und Initiative in diesem Fall danken.«
Ashton zuckte mit den Schultern. »Derartige Wachsamkeit liegt mir im Blut. Ich will damit sagen, dass ich schon immer sehr engagiert erst Soldat und danach Polizist war, bevor ich schließlich zu PROTECTOR ging.« Er vermied es bewusst, sich als Jäger zu bezeichnen. »Kann ich dich etwas fragen, Gwynal?«
»Du kannst mich alles fragen, und ich versichere dir, dass ich dir immer ehrlich antworten werde. Ich hoffe, du weißt das.«
Seltsamerweise wusste Ashton das tatsächlich mit einer Sicherheit, die ihn selbst überraschte. »Als ich mich über Morton Phelps erkundigt habe, hat eine Schwester ihn als Präfekten bezeichnet. Stevie hat zwar nichts dergleichen erwähnt, aber haben wir so etwas wie eine eigene Regierung?«
Gwynal entging es keineswegs, dass Ashton sich gerade unbewusst zu den Vampiren gerechnet hatte, doch er ging nicht darauf ein. »Nein. Zumindest nicht nach der herkömmlichen Definition von ›Regierung‹, obwohl man den Rat der Wächter im weitesten Sinn wohl so nennen könnte. Allerdings ist der Rat eher vergleichbar mit dem Internationalen Gerichtshof, und wir Wächter sind sozusagen Interpol für vampirische Angelegenheiten. Parallel dazu hat sich schon vor Jahrhunderten in unserer Gemeinschaft eine Art Verwaltungssystem etabliert.«
Gwynal nahm einen Schluck Blut und kostete ihn mit sichtlichem Genuss auf der Zunge, ehe er ihn hinunterschluckte und weitersprach.
»Wir Vampire sind in der Regel territorial veranlagt. Abgesehen von der alle paar Jahrzehnte notwendigen Wanderschaft, ziehen wir es vor, an einem Ort zu bleiben, an dem auch andere unserer Art leben. Mit anderen Worten, wir bilden Kolonien. Und wie jede Gemeinschaft brauchen auch unsere Kolonien in manchen Dingen eine Führungsebene, einen Vorstand, vergleichbar mit der Geschäftsleitung einer Firma. Meistens handelt es sich um einen Vampir oder eine Vampirin, die aufgrund ihres Charismas eine solche Führungsposition von den anderen zuerkannt bekommen, oder sie werden von allen Mitgliedern der Kolonie demokratisch gewählt. Wir nennen diese gewählten Manager die Präfekten.
Ihre Aufgabe ist es, für das Wohlergehen und die Sicherheit ihrer Schützlinge zu sorgen, weshalb sie mehr oder weniger eng mit uns, den Wächtern, zusammenarbeiten. Jeder Präfekt wacht über ein Gebiet von zweihundert bis fünfhundert Meilen Radius, je nachdem, wie weit die jeweils nächste Kolonie entfernt ist oder der am weitesten von der Kolonie entfernt wohnende Vampir. Wenn du dich also an einem Ort niederlässt, der im
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