Das Gesetz Der Woelfe
sein Blick war abwesend. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und seine Augen waren trübe. Er starrte abwesend in die Ferne, wo ihn eine Heimsuchung zu erwarten schien, von der Clara nichts wusste.
Es kam, wie es kommen musste: Der Richter entschied, das Protokoll der Aussage des Massimo Moro zu verlesen, wobei die beiden Seiten, die in Malafontes Akten fehlten, stillschweigend übergangen wurden, und begründete die fehlende Ladung schlicht mit »Unauffindbarkeit« des Zeugen.
Er lehnte Claras Beweisanträge ab und setzte sich über ihre zahlreichen Einwände hinweg. Am Ende drohte er ihr sogar, Schritte einzuleiten wegen »mutwilliger Prozessverschleppung«. Für den Angeklagten hatte er am Ende der »Beweisaufnahme« noch den Hinweis übrig, er habe sich selbst »reingeritten«, in dem er nicht sofort gestanden hatte. Die Namen seiner Kunden und die der Lieferanten, und man hätte »über alles reden können«. Claras empörtes Verlangen, diese Bemerkung in das Protokoll aufzunehmen, wurde, wie alle anderen Anträge auch, abgelehnt.
Angelo Malafonte saß während der gesamten restlichen Verhandlung unbeweglich auf seinem Stuhl, die großen Hände, die so gar nicht zu seinen schmalen Schulten passen wollten, lagen auf seinen Knien. Er sagte kein Wort mehr, und Clara zweifelte daran, dass er der Übersetzerin überhaupt folgen konnte.
Während noch Claras wutentbranntes Plädoyer im fahlen Licht der Neonlampen folgenlos verhallte, kritzelte Richter Oberstein einige Zeilen auf seinen Notizblock. Clara war sich sicher, dass es sich schon um das Urteil handelte, doch auch dieser Verstoß gegen die Strafprozessordnung würde ungesühnt bleiben, da er nicht zu beweisen war. Dennoch entschloss sie sich zu einem letzten verzweifelten Versuch und hielt mitten im Plädoyer inne. Als Richter Oberstein erstaunt aufblickte, fragte Clara mit zusammengekniffenen Augen und ohne jegliche Höflichkeit in ihrer Stimme: »Was schreiben Sie da, Herr Richter? Doch nicht etwa das Urteil?«
Der Staatsanwalt zuckte erschrocken zusammen, und die Protokollführerin duckte sich unwillkürlich, wie in Erwartung eines Schlages.
Doch der Wutanfall von Richter Oberstein blieb aus, und Clara war nach dem vorangegangenen Desaster noch ein kleiner Triumph vergönnt: Reflexartig bedeckte der Richter die Seiten vor ihm mit der Hand und wirkte für einen kurzen Augenblick wie ein Schüler, den man beim Abschreiben erwischt hatte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann überlegte er es sich anders und räusperte sich. Er benötigte noch einige Sekunden, bis er seine Fassung zurückgewann. Dann schickte er Clara sein arrogantestes Grinsen hinunter: »Netter Versuch, Frau Verteidigerin. Sind Sie fertig mit Ihrem Plädoyer?«
Clara grinste zurück, doch es war eher ein Zähnefletschen: »Nein. Ich muss noch meine Anträge stellen.«
Richter Oberstein winkte huldvoll: »Tun Sie das, tun Sie das!«
Angelo Malafonte verzichtete auf sein letztes Wort, er schüttelte nur den Kopf, und so wurde fünf Minuten später das Urteil verkündet.
Clara hatte nach dieser Verhandlung mit dem Schlimmsten gerechnet, doch das, was sie zu hören bekam, überstieg ihre bisherige Vorstellung von »schlimm« bei weitem: Richter Oberstein befand den Angeklagten nicht nur des Besitzes, sondern auch des gewerbsmäßigen Handels mit Rauschgift für schuldig. Er stützte sich dabei auf die Zeugenaussage von Massimo Moro, der sich in der Vernehmung durch ihn selbst als »rundherum glaubwürdig« dargestellt hatte. Aus der »Lebenserfahrung« des Richters ergäbe sich, dass Moro »keinen vernünftigen Grund« gehabt hatte, Angelo Malafonte ungerechtfertigt anzuzeigen. Als strafverschärfend wertete der Richter überdies die »Verstocktheit« des Angeklagten und seine Weigerung, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Er verurteilte Angelo Malafonte daher zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung.
Clara schnappte nach Luft. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sie sprang auf und rief, eine Hand wie zur Beschwörung auf die Schulter ihres Schützlings gelegt, dem diese Ungeheuerlichkeit gerade noch übersetzt wurde: »Wir legen Berufung gegen dieses Urteil ein. Sie können sich die Rechtsbelehrung sparen.«
Der Richter lächelte: »Nicht so ungestüm, Frau Niklas. Ich bin noch nicht fertig: Gegen den Angeklagten wird außerdem sofortiger Haftbefehl erlassen. Es besteht Fluchtgefahr, da der Angeklagte Ausländer ist und keinen festen Wohnsitz
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