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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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kommentieren und zu kritisieren ist die eine Sache. Wirksamer und wichtiger wäre es, dieses Unternehmen zu torpedieren. Ich erlaube mir, ein Stichwort aufzugreifen, das Herbst 43 zu den Akten gelegt wurde, nun aber wieder eingebracht werden könnte, ja müsste: Joachim Nettelbeck.
    Nach allem, was uns über Fortgang wie Stillstand der Kolberg-Produktion vermittelt wird, lässt sich klar ausmachen, dass Dr. Goebbels besagten Nettelbeck zum Sprachrohr macht für sein Vorhaben, eine große paramilitärische Bewegung aus dem Boden zu stampfen nach dem Motto: »Nun, Volk, steh auf und Sturm brich los!« Durch das Sprachrohr Nettelbeck/George soll die Etablierung der neuen Streitmacht alternder Männer gefordert und gefördert werden. Hier, so denke ich, sollte, auch im Zeichen unserer Elitetruppe, ein klares Gegenzeichen gesetzt werden. So möchte ich auf meinen Vorschlag zurückgreifen, das Unternehmen Kolberg-Film auszuhebeln, und zwar durch Hinweise auf die wahre Rolle, die Joachim Nettelbeck anno 1807 gespielt hat. Materialien dazu liegen hinreichend vor, müssten nur aufgegriffen werden. Ich wüsste auch schon jemanden, der hier zu beherztem Zugriff bereit wäre.
    Wie denken Sie, wie denkt man im Palais darüber? Über ein Signal aus dem RSHA , und sei es noch so kurz und bündig, würde sich freuen Ihr getreuer Johst.

    Lieber Uwe, für dieses Schreiben, das kein Abhörprotokoll begleitet und kommentiert, muss gewiss keine Empfangsbescheinigung unterzeichnet werden. Überhaupt weichen so manche Abläufe sukzessiv auf. Hubalek (nach vergeblichen Ermahnungen, ja Vorhaltungen konstatiere ich das nur noch) schließt die Mappe nicht mehr ab, steckt den Doppelumschlag einfach in den Tornister, steigt aufs Motorrad, und ab geht die Post. Solange er sein Krad nicht wegen Spritmangel schieben oder womöglich aufs Fahrrad umsteigen muss, wird ihn kein Posten aufzuhalten wagen, schließlich muss höchste Dringlichkeit bestehen, wenn ein Krad die Trümmerwüste durchquert. Dies bald auch noch im Schnee, wie sich bereits vorbotenhaft angekündigt hat.
    Was Hubalek diesmal zur (dosierten) Vermittlung vorlegt, ist der von RM mit Recht erwartete Sachstandsbericht über derzeitige Aktivitäten seines FA . Eigentlich müsste dieser Bericht vom Amtsleiter verfasst und abgezeichnet werden, doch Clemens Prinz von Hessen-Nassau befindet sich zurzeit wieder mal auf Frontflug.
    So obliegt es mir, kommissarisch zu vermelden: Unsere drei Hauptabteilungen haben (provisorische) Unterkunft gefunden in der Kaserne Breslau-Hartlieb. Von den Räumlichkeiten und Begleitumständen her kaum befriedigend, doch die Arbeit kann wiederaufgenommen werden. Das ist der eine Punkt.
    Der andere: Unser explosionsmäßig dezentralisiertes FA , teils in Breslau, teils in Bayern, teils mobil, es kann Tätigkeitsberichte nicht mehr auf gewohntem Dienstweg an RSHA und RMVP weiterleiten, wir von der Telefonerfassung müssen koordinieren, was Mitarbeiter diverser Abteilungen an Meldungen einreichen – wir sind schließlich die einzige noch ortsfeste Dienststelle. Die Zahl der angeschliffenen Durchgangsleitungen wird trotz wiederholter Umschaltungen allerdings ständig reduziert. Und Fernschreiben werden von Alliierten wie von Neutralen fast nur noch über Zerhacker vermittelt oder in (zuweilen dreifacher!) Chiffrierung. Die sinnloserweise völlig unabhängig voneinander arbeitenden Dechiffrierer von FA , SD , AA können die komplexen Codes nicht mehr knacken.
    Kurzum: In unserem ›Behelfsheim‹ treffen immer weniger Berichte ein. Selbst unsere mobilen Stellen sind erheblich beeinträchtigt; die Gerätewagen kommen infolge Spritmangel kaum noch von der Stelle.
    So sitzen wir in der lädierten Villa, werden gepudert vom Staub, Staub, Staub zertrümmerter Ziegel, pulverisierten Mörtels – nur zuweilen ein Hauch Frische. Der kommt aber längst nicht mehr von der eingeschwärzten Spree mit all den versenkten Schiffen, Leichtern, Booten, eher kommt ein Hauch herüber von den Schrebergartenparzellen im Tiergarten oder von den gepflügten Flächen vor dem Reichstag. Begleiterscheinungen, und wir haben Zeit, sie wahrzunehmen!
    Subjektiver Befund, auf kürzlich erneut gefestigter Vertrauensgrundlage mitgeteilt: Ich fühle mich wie gerädert. Vorige Nacht wieder, von Euch dort draußen sicherlich registriert, einer der massiven Bombenangriffe auf die Trümmerwüste Berlin. Wir konnten uns rechtzeitig in den öffentlichen Bunker zurückziehen, der Keller unserer Villa

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