Das Gesetz des Irrsinns
betonter Ruhe, nahm der Attacke damit die Spitze.
Dr. G. steckte ein wenig zurück: War nicht so gemeint, war nur ein Probelauf. Und er stellte die Frage, ob Harlan lediglich auf die Fluggenehmigung gewartet und sonst nichts weiter unternommen hätte in puncto Realisierung der Leonidas-Szenen?
Er hätte nicht persönlich die Erweiterung des Skripts realisieren können, hätte (statt des zurzeit voll ausgelasteten Erckmann) Thea von Harbou bitten müssen, dies zu übernehmen. Was die Dame, trotz aller Filmroutine, geliefert habe, sei allerdings völlig unbrauchbar. Sie hatte (offenbar als Spätfolge des kulissenreichen
Metropolis
-Films) die Vorstellung, die Thermopylen würden im Umfeld von Glienicke nachgebaut, ein doppeltes Elbsandsteingebirge aus Holzgerüsten und Pappmaché, mit einer Piste dazwischen, alles eng, sehr eng, damit hochexpressiv. Was dort ablaufen sollte, erinnerte im Treatment eher an die Beschießung eines Indianerkonvois durch Trapper oder einer Trappertruppe durch Rothäute. Jedenfalls ein Gruß an den Papierkorb.
Unabhängig davon will Harlan in Kürze die Suche nach einem geeigneten Drehort beginnen, gemeinsam mit Sperber. Die Tour erfolge nach dem Veto von Gatow notgedrungen auf dem Landwege; dafür müssten, auch in Anbetracht der einsetzenden winterlichen Wetterlage, vorsichtshalber, acht bis zehn Tage veranschlagt werden. Vor Dezember könnten die Dreharbeiten wohl kaum beginnen.
Dr. G., wieder mit erhobener Stimme: Wollen Sie Fahnenflucht begehen?! Kommt nicht in Frage, dass unser Filmprojekt so lange auf Eis liegt! Schauen Sie zu, dass Sie so langsam zu Potte kommen!
Harlan erlaubte sich, darauf hinzuweisen, dass die zusätzlichen Leonidasszenen die Fertigstellung des Films erneut hinauszögern. Äußerte die Befürchtung, dass dann nicht mehr ausreichend Lichtspielhäuser zur Verfügung stünden. Das Humboldt-Theater, das UFA -Theater im Norden, die Palast-Lichtspiele, das UFA -Theater am Friedrichshain, die Capitol-Lichtspiele, die Elysium-Lichtspiele, das Orpheum – alles zerstört! Von den hundertfünfzig Lichtspielhäusern der Reichshauptstadt dürften nur noch zirka dreißig bespielbar sein. Und die liegen eher an der Peripherie. Soll die Premiere womöglich in den »Lichtspielen an Onkel Toms Hütte« stattfinden? Oder im Kino im Keller seiner Villa?
Nun machen Sie mal nicht in Panik, Harlan! Für Ausgleich wird gesorgt, es werden demnächst in großem Maßstab Freilichtbühnen errichtet.
Wird es nicht schwierig sein, Filmprojektionen mit dem Grundsatz der Verdunklung in Einklang zu bringen?
Selbstverständlich finden die Vorführungen nur nachmittags statt.
Da dürfte es, unter freiem Himmel, etwas zu hell sein für Filmprojektionen. Kontraste gehen verloren.
Der Boden der Freilichtkinos wird mit Kohlegrus bestreut. Schluckt eine Menge Licht. Abgesehen davon: Nach meinem Spielverbot stehen Theater leer. Die werden in Kinos umgewandelt. Vorführgeräte stehen ausreichend zur Verfügung: russische, italienische, französische Beutestücke. Die werden überprüft, überholt und gelangen dann zum Einsatz.
Zur Ergänzung unseres D r G / VH -Faszikels das Abhörprotokoll eines Gesprächs zwischen Staatssekretär Terzenbach und Harald Braun.
Der Chef der Ministerialkanzlei hatte den Eindruck, an der Ergänzung des Films werde nicht mit dem nötigen Hochdruck gearbeitet. Ob mittlerweile ein brauchbarer Entwurf zur Weiterführung des Skripts vorliege, Stichwort Leonidas?
Braun erklärte, es sei eminent schwierig, eine längere Sequenz nachträglich einzubauen. Das wäre nicht mal einer so versierten Autorin wie der Harbou gelungen. Jeder hätte im Hinterkopf: Die Dreharbeiten sind im Prinzip beendet. Wie da noch eine neue Handlungsfolge einführen?
Das fragen Sie mich, Herr Braun? Sie zeichnen für das Drehbuch mitverantwortlich! Als ehemaliger KZ -Häftling dürften Sie Ihre Lektion hoffentlich verstanden haben.
Herr Staatsekretär, es geht auf Ende November zu, der Film muss dringend in die Endfertigung.
Das deutsche Volk lernt so langsam, aus der Not heraus zu improvisieren, und das Filmset? Bleibt im Trott alter Gewohnheiten? Wo steckt überhaupt der Harlan? Wieso rede ich mit Ihnen? Ist er in Deckung gegangen?
Herr Staatssekretär, Harlan ist, in Erwartung weiterer Terrorangriffe, auf Weisung von Hinkel mitsamt sieben Schneidetischen nach Guben an der Neiße ausgelagert worden – die Schneideräume in Babelsberg können infolge Bombenschäden nur noch
Weitere Kostenlose Bücher