Das Gesetz des Irrsinns
verbraucht haben für Nachschub und Verwaltung, der kämpfenden Truppe zugeführt werden. Wenn ein paar glückhafte Begleitumstände hinzukommen, so können wir, das ist des Führers heiligste Überzeugung, die Lage im Osten stabilisieren, ja die Gesamtsituation bereinigen. Erst kürzlich habe der Führer bei einem Vortrag zur Lage erklärt: »Sie werden sehen, der Russe erleidet die größte, die blutigste Niederlage seiner Geschichte im Großraum Oder.« Dies wird sich sodann als glänzende Rechtfertigung seiner Strategie erweisen: Der Feind kommt dorthin, wo wir ihn erwarten. »Dann haben wir sie endlich vor unserer Klinge!«
Lieber Kamerad und Freund, wäre ich nicht hundertprozentig sicher, dass Hubalek keinen Abstecher zum Prinz-Albrecht-Palais macht, wo Experten, mit Spezial-Instrumentarium bewaffnet, auf die Kuriermappe warten, ich würde die folgenden Zeilen nicht riskieren, sie könnten mich Kragen und Kopf kosten, aber es muss raus!
Was Du von Hitlers Reaktion auf den Namen Göring wiedergegeben hast, sicherlich nur andeutend, dies kann nur bestätigt werden. Zwischen Geflüster und Geschrei: diverse Formen, in denen RM sich in zunehmendem Maße bloßstellt.
Meist sitzt er ja mit Loerzer beisammen, dem Rotspon-Gespons, wie ich ihn schon mal nenne. Zuweilen muss ich, als Adjutant z.b.V., auch den Butler spielen, in voller Uniform, das korrekt gefaltete Handtuch oberkellnermäßig über linkem, horizontal gehaltenem Unterarm. Nach dem Einschenken wieder diskret in der Ecke stehend, den Flüssigkeitsspiegel der Kristallgläser im Blick behaltend, kriege ich etliches mit – meist Personalia. Und Klagen, Anklagen Görings, der sich nach all den Niederlagen, dem Versagen der Luftwaffe auf Seite gedrückt, ja abgeschoben fühlt. Und das
ihm
als Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches,
ihm
als Beauftragtem für den Vierjahresplan,
ihm
als Vorsitzendem des Ministerrats für die Reichsverteidigung! RM unter Dampf, und der entweicht über Seitenventile.
Dass Hitler nicht
ihn
zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Krieg ernannt hat – eine der Wunden, die sich nicht schließen wollen. Aus denen suppt es wiederholt. Und gestern Abend: ganz dicke Suppe! Ausgerechnet dieses rheinische Männlein, das nie gedient hat, ausgerechnet
den
mit solch einem Amt und Auftrag zu betrauen, das will und will RM nicht in den Kopf. Hat Goebbels jemals feindliche Flieger zum Abschuss gebracht? Hat der überhaupt eine militärische Ausbildung genossen? Hat der etwa eine höhere Auszeichnung erhalten? Womöglich die höchste, die der Kaiser damals zu vergeben hatte, den Pour le mérite? Nichts vor den Hals gehängt, nichts an die Brust gesteckt – und der als Reichsbevollmächtigter?! Ausgerechnet
der
stampft jetzt den Volkssturm aus dem Boden, dieses letzte, allerletzte Aufgebot! Bewaffnung von Altersheimen mit überalterten Waffen! Kampfwert gleich null!
Nachtrag. Und wie geht, wie springt der Träger des Pour le mérite mit unseren jungen, zum Teil blutjungen Piloten um? Hin und wieder geruht RM , eine Abordnung unseres Offizierskorps zu empfangen, unter besonderer Berücksichtigung von Jagdfliegern – auf der Jagdwaffe ruht, ja
ruht
nominell die Verteidigung des Luftraums, sofern dies nicht der Flak überlassen bleibt, die in der letzten Zeit bessere Abschussquoten aufzuweisen hat.
Es obliegt mir, die von der kirchenschiffhohen Halle eingeschüchterten Jagdflieger an einer Teppichkante aufzureihen und dort erst mal stehen zu lassen, denn selbstverständlich gönnt sich RM respektheischend Zeit, ehe er in weißer Uniform auftritt (weiße Uniform auch im Winter!) und nach militärisch knapper Begrüßung ansetzt zu einer halbstündigen, wenn nicht ganzstündigen Beschimpfung: Keine Kampfmoral, nichts von Kampfmoral, weit und breit nichts von Kampfmoral in der Luftwaffe, nur Feigheit, Säumigkeit, Saumseligkeit, wo es doch eher heißen müsste: Hart werden, auch und gerade wenn sich der Gegner als technisch überlegen erweist – mit List und Mut lassen sich auch Spitfires und Mustangs vom Himmel holen …! Ich kann es nicht anders sagen: RM scheißt die Männer zusammen.
Zum Ausgleich muss ich festhalten: Beim anschließenden Umtrunk, zu dem ich die Kameraden in den Personal-Speiseraum einlade, gehen die Männer schon mal aus sich heraus. Und ich kriege zu hören, was der Oberbefehlshaber der Luftwaffe nicht hören will, und sollte es doch mal zu hören sein, ansatzweise, so brüllt er das nieder, siehe oben.
Ein
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