Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
Vom Netzwerk:
Knie an abwärts liegt in einer Knochenhalde in Frankreich, er braucht zwei Krücken, mit der Prothese hat er bedrückende Probleme. Die sollte längst ersetzt werden, aber er muss einsehn, dass Prothesen woanders viel, viel dringender benötigt werden; letztlich müssten fabrikneue Prothesen ganze Eisenbahnwaggons und Lastwagen füllen, aber auch hier: Fehlanzeige.

    Auszug aus dem Abhörprotokoll eines Ferngesprächs zwischen Sperber und Hinkel.
    In seiner Eigenschaft als Reichsfilmintendant wie als Gruppenführer der SS sah sich Hinkel gezwungen, die Vorbereitungen für einen Transfer von Rohfilmmaterial an Harlan mit sofortiger Wirkung abzubrechen. Der Film dieses Herrn könne von der SS nicht weiter unterstützt werden. Laut zuverlässiger Quelle habe sich Harlan im Hotel von Gotha zu einer letztlich hochverräterischen Äußerung hinreißen lassen: Es herrsche zurzeit das Gesetz des Irrsinns; alle müssten sich diesem Gesetz unterordnen, obwohl fast jeder den Irrsinn durchschaue. Wortwörtlich:
Das Gesetz des Irrsinns!
Da kann ich nur sagen: Dem Harlan sitzt die Rübe verdammt locker!
    Da Sperber davon ausgehen musste, dass Hinkel seinem Zweit-Dienstherrn Goebbels in dieser Angelegenheit Bericht erstatten würde, wollte er ihm zuvorkommen.
    Wider Erwarten ging Dr. G. auf Harlans Äußerung nicht weiter ein, äußerte nur beiläufig: Werden wir nach dem Kriege klären … So, und den Rohfilm holen wir dort, wo er auf Lager liegt – beim Herrn Reichsmarschall. Der habe nicht nur den Fernaufklärer eingebunkert, RM habe auch Rohfilmmaterial gehortet, aus der Schweiz bezogen unter offensichtlicher Veruntreuung von Valuten. Mit dem Filmmaterial in der Hinterhand kann er, das hat sich der Herr Reichsmarschall so ausgemalt auf seinem Olymp in der Schorfheide, eine Neuverfilmung von
Besatzung Dora
ankurbeln, sobald wir, erstens, die aufständischen Italiener samt ihren Amerikanern bis Apulien hinabgeprügelt, zweitens die Tommies in Nordafrika erneut in Furcht und Schrecken versetzt, drittens den Iwan zurück in die Steppe gejagt haben. Das alles kann aber noch ein Weilchen dauern.
    Also sollte das Filmmaterial einer vordringlichen Nutzung zugeführt werden! Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, dass Göring seinen Rohfilmhort rausrückt. Falls er sich wieder dumm stellt, was ihm nicht schwerfallen dürfte, soll der Führer ein Machtwort sprechen, da knickt der Dicke gleich ein. Und der Nachschub wird auf schnellstem Wege nach Dreigleichen verfrachtet. Jodl scharrt schon mit den Hufen, will das Divisions-Äquivalent möglichst bald wieder an die Front schicken, mit dem Nachdreh komme man ja sowieso nicht zu Potte. Da gehe nur Zeit verloren. Der Zeitverlust wird mittlerweile allerdings ausgeglichen durch die erheblich verkürzten Transportwege zur Ostfront, wie?
    Und in jäh verschärftem Ton: Diese Anmerkung bleibt unter uns, Sperber, haben wir uns verstanden?! Und, nachsetzend, nachtretend: Wenn Sie auch nur eine einzige Silbe nach außen dringen lassen, werde ich Sie zu einem Nichts atomisieren!

    Anruf Veit Harlan, derzeit Hotelaufenthalt in Gotha, bei Dr. G, zurzeit im Liebesnest am Bogensee: Katastrophenmeldung! Bei der Bombardierung des Güterbahnhofs Gotha sind vergangene Nacht die dort abgestellten Waggons mit sämtlichen Requisiten ausgebrannt. Alle Uniformen, Gewehre, Kanonen: vernichtet.
    Sie klingen bemerkenswert gelassen, Harlan. Hand aufs Herz: Haben Sie die Feindflieger bestellt?
    Herr Minister, die hat Shylock geschickt.
    Schlagfertigkeit ist alles, wie?
    Es war nicht als Schlag gedacht.
    Ich gebe mich auch nicht so leicht geschlagen. Nun ergänzen Sie mal Ihre Meldung.
    Harlan hatte dafür gesorgt, dass die Massenrequisiten sicher untergebracht waren. Sperber hat auftragsgemäß eine abgelegene fränkische Klosterkirche in Beschlag genommen – übrigens längere Zeit von napoleonischen Truppen als Pferdestall benutzt, nachweislich. Wäre eigentlich ein gutes Omen gewesen, zumindest für die Uniformen und Waffen der Grande Armée. Die Wahl hatte sich in der Tat als richtig erwiesen. Schließlich hatte er, Harlan, eine spätere Verwendung der Uniformen und Waffenrequisiten im Blick: Das große Nachkriegsprojekt der Völkerschlacht von Leipzig. Das Problem entstand erst mit dem Transport. Fünf Güterwagen lassen sich nicht so leicht verstecken.
    Ich werde Jodl den Vorfall melden. Da kann er die Truppe gleich wieder an die Front schicken. Wird erleichtert sein, der Bayer. Sie sind es offenbar

Weitere Kostenlose Bücher