Das Gesetz des Irrsinns
dem Ess- und Trinkgefährten Barlach, der in
Seespeck
(einem posthum veröffentlichten, stark autobiographischen Romanfragment) mit ironischen Pointierungen brilliert. »Manchmal griff er mit den Armen an das himmlische Reck und machte den Bauchaufschwung, sah von oben aus der Fülle auf die Armut unter ihm herab. Er möchte aber, man merkte nicht, dass da oben eine Turnstange war, und sollte denken, es wäre Schweben und Entrücktsein gewesen. Er winkte dann anmutig mit den Brauen: ›Es geht, man schwebt!‹ Und winkte hochwärts, als wollte er eine Hand in den Wolken schütteln.«
Es blieb nicht bei freundschaftlicher Ironie, der Ton von Zeitgenossen konnte scharf werden. Charakteristisch die Einschätzung eines Rudolf Pannwitz (der sich auch positiv zu Däublers Werk äußern konnte). Ich zitiere aus seiner Besprechung im Jahre 1919 . Dies auch als Stich- und Stilprobe: Es wird nicht lediglich Inhalt vermittelt, wie heute weithin üblich, es wird Methode erörtert.
»Es ist charakteristisch, dass der Vers aus frei gewordenen Strophen, Terzinen, Sonetten – nicht aus neuen rhythmischen Elementen sich fügt. Ursache ist, dass dies einem im schlichten Grunde klassischen und Form liebenden Geschmack entspricht, ferner dass man auf diese Weise am bequemsten seine Intuitionen-Folgen wie ein Kilometerfresser herunterstrampeln kann. Fast alle Gedichte sind unermesslich zu lang, sind addiert, nicht multipliziert, noch minder potenziert: um dies durchaus Klassizistische auszugleichen, ist jede einzelne Stelle überintensiviert, sind Wörter an Wörter geklebt, deren Mehrgipfeligkeit alles Dynamische gerade aufhebt, und als Rache für diese Hochschraubungen quälen dazwischen Strecken gewollter oder ungewollter Sand-Banalitäten. Nicht irgendein Impuls oder Prinzip, sondern rein naturhaft ist das absolut Maniakalische des Verses, dass der Rhythmus im Ganzen geradezu minderwertig ist, ein ödes gehetztes Geklapper, ebenso hastig wie schwerfällig und rücksichtslos über Stock und Stein …«
Wer Band 6 der (noch rudimentären) siebenbändigen Kritischen Werkausgabe nicht heranziehen will, um sich einen unvermittelten Eindruck zu verschaffen, kann sich im »Gutenberg Projekt« online auf dieses Werk einlassen.
Hier sind auch die Textfälschungen
Der Marmorbruch
und
Die Göttin mit der Fackel
verfügbar – dies jeweils unter Däublers Namen! Höchst erstaunlich, denn spätestens seit der Marbacher Däubler-Ausstellung 1984 ist branchenkundig, dass Eckart Peterich die Erzählung ( 1930 als Reclambändchen erschienen) und den »Roman einer kleinen Reise« ( 1931 in der Deutschen Buchgemeinschaft) »fabriziert« hat.
Ein Doppelfall von Fälschung aus eher karitativen Motiven. Peterich hatte schon in früheren Jahren bei einem Erzählprojekt des Dichterfreundes mitgewirkt. Däubler, Januar 1929 in einem Brief an Pannwitz: »Wir verfassen ein Exposé des Romans ›Mein Onkel Brigantino‹. Das soll der letzte Versuch sein, durch Belletristik zum Recht des Lebens zu gelangen.« Ein offensichtlich gescheiterter Versuch. Der vorgesehene Titel signalisiert allerdings: bescheiden angesetzte literarische Intentionen.
Die Freunde waren chronisch unzufrieden mit der Rezeption ihrer Werke. Wohl auf einer der griechischen Erkundungs-Wanderungen wurde ein Plan gefasst, der beiden weiterhelfen sollte: Der ständig verschuldete Däubler wollte publizieren, konnte (oder wollte) aber nicht mehr schreiben, Impulse wurden vom Übergewicht gleichsam erdrückt (Barlach, sarkastisch: er bereite »den Selbstmord durch Platzen vor«). Peterich wiederum wollte mit seinen Gedichten, seinen Romanen endlich Resonanz finden, so kam es zum Deal: Peterich schreibt, undercover, unterhaltsame Prosa, und Däubler stiftet für Cover und Titelblatt seinen honorigen Namen.
Im Marbacher Magazin 30 / 84 zur Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum lese ich erhellende Tagebuchauszüge. Däubler, April 1930 : »Ekki bekommt das ganze Geld für den ›Marmorbruch‹, da ich ihm noch viel schuldig bin. Hegner sagte: Ekkis Deutsch ist zu glatt, gleich darauf lobte er meinen (!) Marmorbruch. Solcher Suggestionen wegen, mussten wir leider den Trick anwenden. Dem ›Marmorbruch‹ dürfte es besser gehen als andern Büchlein von mir. Sein Stern spielt vielleicht günstig in mein Leben. Vielleicht rettet er mich sogar.«
Hochgespannte Erwartungen! Die Erzählung, die im Ambiente von Carrara spielt, sollte wohl beide aus der Schuldenfalle befreien. Recht glücklich
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