Das Gesetz des Irrsinns
glücklicherer Zufall« half nach. Dies im Fortsetzungsbezug, denn nach dem Erfolg des ersten Bandes musste ein zweiter folgen. Hier wurde, als »Faksimile«, das »Manuskript« eines der Gedichte reproduziert mit dekorativen Streichungen und Verbesserungen – das Werk eines Graphikers. Klarer Fall von (weiterer) Fälschung.
Hier machte sich etwas selbständig. Auch als der Verleger sich gezwungen sah, dem Sortiment mitzuteilen, der Verfasser der Gedichte lebe noch und heiße ganz anders, konnte sich Karl Krämer von George Forestier nicht lösen, publizierte in seinem neugegründeten Verlag weitere Forestier-Bände, auch mit gefälschten Briefen. Der Erfolg blieb natürlich aus, die nicht mehr auratischen Gedichte fanden kein öffentliches Interesse, die zündende Story hatte sich verflüchtigt.
Natürlich interessieren mich als Schriftsteller vor allem Fälschungen im Reich der Literatur. Die sind allerdings weniger spektakulär als Fälschungen von Gemälden oder Plastiken – dort geht es meist um sehr viel Geld.
Vor dem Fall Forestier der Doppelfall Däubler/Peterich. Zwei Autoren, die weithin vergessen sind. In der Titelkurzliste des Buchhandels wiederholen sich Hinweise wie: »Noch nicht erschienen. Erscheinungstermin unbekannt«. Oder: »Führen wir nicht bzw. nicht mehr.«
Das betrifft den Dichter Theodor Däubler. Von dessen Freund Eckart Peterich ist nicht einmal mehr der dreibändige Reiseführer
Italien
lieferbar, der (mit nobler Ausstattung) in den fünfziger Jahren erschien und in zwölfter Auflage auf meinem Lesetisch liegt. Nur ein einziger Buchtitel Peterichs ist in der Titelkurzliste aufgeführt:
Götter und Helden der Griechen.
Jedoch: »Vergriffen, keine Neuauflage, Bestellung abgelegt.«
In dieser Situation müssen die Protagonisten der Fälschungsstory kurz vorgestellt werden. Eckart Peterich wurde vor allem bekannt als Verfasser bildungsgesättigter Reiseführer durch Griechenland und Italien. Er schrieb zudem Gedichte und Theaterstücke, und das wurde für ihn zum Problem.
Allein im ersten Band der
Italien
-Trilogie wird Däubler ein dutzendmal genannt, auch zitiert. Unter dem Stichwort Triest wird der Freund vorgestellt: »Hier wurde am 17 . August 1876 Theodor Däubler geboren, wie ich glaube, mit Rilke und Hofmannsthal der größte deutsche Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts. […] Sein Hauptwerk ist die epische Dichtung ›Das Nordlicht‹. Es ist wie fast alle seine Werke vergriffen, was den deutschen Verlegern als eine schwere Unterlassungssünde angekreidet werden muss.« Daran hat sich seit 1958 nichts geändert; dafür gibt es gravierende Gründe, die nicht primär Verlegern angelastet werden können.
Der »dicke Theo«, der schon in mittleren Jahren aussah wie der alte, rauschebärtige Brahms, dies bei allerdings erheblich erweitertem Leibesvolumen (und damit verlockendes Modell für diverse Maler seiner Zeit), dieser Dichter stemmte mit
Nordlicht
ein Werk von gewaltigem Anspruch und Umfang: rund dreißigtausend Verszeilen! Eine Großanthologie von Gedichten, allesamt gereimt. Bei einem Bibliomanen kann ich die dreibändige »Florentiner Ausgabe« sichten, 1910 erschienen (München, Leipzig).
Ein sehr weites Spektrum der Artikulation! Auf dem poetischen Programm standen vorrangig Hymnen »der Höhe« mit Sonne, Mond und Sternen. »Durch Sonnenliebe wird die Nacht gelichtet, / Durch Glut und Glück belebt sich der Planet.«
Titelgerecht wird auch mal Nordlicht evoziert. Sonnenlicht jedoch dominiert. »Es folgt am Himmelsbogen / Das Licht dem Mutterruf, / Und scheidend noch bewundert / Die Sonne was sie schuf.«
In der Dauerkreation von Aufschwüngen zu Höchstem und Allerhöchstem finden allerdings auch Bauchlandungen statt: »Es schleppt sich nun ein Rittertross / Schwer heran auf Zottelkleppern, / Gar müde sind schon Mann und Ross, / Wenn sie sich zusammenläppern.«
Däubler hat in einem Brief an seine Schwester zwar vermerkt,
Nordlicht
sei die »gewaltigste Anstrengung« die »seit Dante durch einen Menschen zustande kam«, hat im Tagebuch zudem festgehalten, seine »Großleistungen« würden »bestimmt« auch die des »Jünglings« Rimbaud »überragen«, doch der womöglich intergalaktische Erfolg blieb aus.
Das darf nicht bloß vermerkt, es muss verifiziert werden, denn: Es sind meist Misserfolge, Defizite, die zu Fälschungen führen – nicht Übermut und Überschwang.
Skepsis gegenüber dem Konvolut bereits unter Zeitgenossen. Dies sogar beim Mitwanderer,
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