Das Gesetz des Irrsinns
Musik-Manuskripten.« Und so weiter und so weiter.
Eine suggestive Begleit-Story über den Pianisten, in Presse und Funk verbreitet, sicherte zusätzlich den Erfolg. Hier die Einleitungssätze.
»Seine Geschichte ist ungewöhnlich: Im Jahre 1942 desertierte der an die Ostfront eingezogene deutsche Pianist Kaspar Rosen. Er fand Unterschlupf bei einer jüdischen Familie auf einem Bauernhof bei Rozovka in der Ukraine. Auf dem Gutshof gab es noch einen Flügel aus der Feudalzeit. Auf diesem Gut begegnete Rosen einem Jungen, der auf diesem Flügel improvisierte. Der Junge war stumm und versuchte, sich auf diesem Instrument auszudrücken. Rosen war fasziniert.« Und so weiter und so weiter.
Ich suchte, mit schwerem Nagra-Tonbandgerät, den Pianisten Jean-Jacques Hauser in Bellinzona auf und den Initiator, Organisator Hannes Keller (Spezialist im Tiefseetauchen, zudem Pianist) in Winterthur, lernte in konketen Details die Ingredienzen, die Wirkstoffe einer geschickt arrangierten Fälschung kennen.
Hauser ist 2009 gestorben. Hannes Keller hat unter visipix.com Fotos, Texte und Tondokumente des legendären Konzerts ins Netz gestellt. So kann ich meinen damaligen Essay mit einigen Zitaten ergänzen.
Keller im Rückblick: »Das Tartarovkonzert konnte man nur einmal starten. Nachher war es für Jahrzehnte nicht wiederholbar. Es gab knapp zwanzig Mitwisser, angefangen mit Zürichs Stadtpräsident und dem Chef der Fremdenpolizei, 3 Leuten beim Fernsehen usw.
Ich entschloss mich, die ganze PR -Kampagne innert 10 Tagen vor dem Konzert durchzuführen. In dieser Zeit musste ich den nichtexistierenden Antonei Tartarov zum größten Pianisten der Welt hochjubeln, 2000 Leute in sein – klassisches – Konzert locken und die 33 . Beethovensonate glaubwürdig machen.«
Keller notierte einige Leitsätze für die Erfindung und Entwicklung der Scheinvita des Protagonisten wie der Provenienzen. »Bei den Märchen drei Nummern gröber und dreister stricken, als man gerade noch für glaubwürdig hält … Zuerst Glaubwürdigkeit produzieren. Dazu dient das Konterkarieren. Das Unerwartete tun. Das Erwartete verweigern.«
Keller, wiederum im damaligen Interview, zur Namengebung des fingiert russischen, zweckmäßigerweise stummen, damit vor Anfragen und Rückfragen abgesicherten Pianisten: »Tartarov, das weckt erst mal die Assoziation an die Tartaren, weiter an Steak tatare, eine sehr männliche Speise. Und dann haben wir ihn aus Georgien kommen lassen, weil dort auch Stalin herkommt – Tartarov hatte ja einen ähnlichen Schnauz. Stalin verkörpert für mich eine ganz elementare, bösartige Brutalität.«
Und wieder Keller in den Internet-Notizen. Das Publikum »erwartete einen russischen Bären. Tartarov kam in einem von Hauser designten eleganten Phantasiefrack als exotischer Dandy mit roten Bändern, Schuhen mit großen goldenen Schnallen und mit schneeweißen Handschuhen.
Statt mit Löwenpranken loszudonnern, legte er sanft die Handschuhe auf den Flügel, liebkoste die Tastatur und begann largissimo pianissimo Skrjabins Sonate in der exotischsten aller Tonarten, nämlich Fis-Dur. Das Publikum traute sich kaum zu atmen. Dann steigerte sich die Dynamik, um sich nach einer knappen Stunde in den Hammerschlägen der sogenannten Prokofieff-Tokkata maßlos auszutoben.«
Die Veranstaltung war als Experiment angelegt; es sollte Rückschlüsse ermöglichen auf Erwartungsmuster des Musikpublikums. Die vorher aufgestellten Spielregeln wurden strikt befolgt.
»Die Veranstalter dürfen kein Geld verdienen. In diesem Fall gingen die gesamten Einnahmen an UNICEF . Der Veranstalter H. K. hat alle Ausgaben selber bezahlt. Tartarov trug seine Kosten und erhielt kein Honorar.
Das Publikum wurde vor dem Ende der Veranstaltung korrekt informiert. (Rede von Hannes Keller). Das Publikum hatte das Recht, das Eintrittsgeld und den persönlichen Aufwand ohne Begründung zurückzufordern.« (Der Sturm auf die Kasse blieb freilich aus. Das Publikum feierte sich selbst.)
Und ich selber, als Rezipient? Ich bin nicht resistent gegenüber Fälschungen. Zwar höre ich viel Musik, auf Tonträgern wie in Konzerten, zwar habe ich hin und wieder einen Essay über Musikrezeption geschrieben, habe gelegentlich eine Musiksendung moderiert im WDR oder SWR – und doch war (und bin) ich begeistert über ein Viola-Konzert, das Johann Christian Bach zugeschrieben wurde.
Vor zwanzig, dreißig Jahren hatte ich es (zum ersten und einzigen Mal) im Funk gehört, hatte es
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