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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Buchhändlerviertel Roms das unter seinem Namen gefälschte Werk ›Galenos, der Arzt‹ zum Verkauf angeboten – und fühlte sich bemüßigt, ein ganzes Buch zu schreiben, um zwischen seinen echten Werken und den völlig oder zum Teil gefälschten zu unterscheiden, die unter seinem Namen zirkulierten.«
    Auch im betont christlichen Mittelalter wurde auf Teufel komm raus gefälscht, vor allem bei juristischen Texten. »Etwa die Hälfte aller juristischen Dokumente, die wir aus merowingischer Zeit besitzen, sowie etwa zwei Drittel aller Dokumente, die vor 1100 n. Chr. an Kleriker ausgestellt wurden, sind falsch. Und es wurden erheblich mehr, als sich im Abendland die Jurisprudenz fest etablierte und jeder Rechtsakt und Besitz der schriftlichen Bestätigung bedurfte; das
Decretum Gratiani
, das Lehrbuch des Kirchenrechts, enthält etwa 500 gefälschte Rechtsdokumente.«
    Und doch sah man hier noch kein Problem der Moral. »Die Bettelmönche des späten Mittelalters handelten offenbar häufig in der Annahme, dass echte Zeugnisse und Geschehnisse der Erhöhung und Dramatisierung bedurften, wenn sie dem heiligen Gegenstand gerecht werden wollten.«
    Und weiter Grafton, nun zum Stichwort Renaissance: »Neue Fälschungen entstanden weniger aus praktischer Notwendigkeit denn aus Nostalgie. Sie zielte vor allem auf das Wiedererschaffen einer Vergangenheit, die dem Geschmack moderner Leser und Gelehrter noch mehr entsprach als die reale Antike, die von der einschlägigen Forschung entdeckt wurde. […] Die Nostalgie führte zu üppiger Produktivität – 10576 von 144044 Inschriften in der großen Sammlung lateinischer Inschriften, dem
Corpus Inscriptionum Latinarum
sind gefälscht oder fragwürdig; viele sind das Werk phantasiebegabter Altertumsforscher der Renaissance.«
    Literarische Fälschungen der Renaissance »reichten bis hin zur freien Erfindung einer gänzlich neuen Vergangenheit«. Eine »Blütezeit erfundener Vergangenheiten«.
    Als gehobene Gebrauchsanweisung nun noch: »Der Fälscher muss es verstehen, seinem Werk ein Flair von Überzeugungskraft und Wahrheit zu verleihen, ein Gefühl von Authentizität.«
    Anders formuliert: Man muss besonders präzis arbeiten, damit Fingiertes faktisch wirkt. Oder: Es muss realitätsnah fingiert werden, damit Gefälschtes für original gehalten wird.

    In jungen Jahren war auch ich einer höchst erfolgreichen Fälschung aufgesessen: dem Lyrikband mit dem betörenden Titel »Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straßen«. Als Dichter wurde ein George Forestier in Szene gesetzt.
    Während ich diese Sequenz schreibe, liegt der schmale, kartonierte Band neben dem Laptop. Als das Buch erschien, war ich noch auf dem Gymnasium. Im Leistungskurs Deutsch wurde von einem progressiven Studienrat das erste Heft der Zeitschrift
Akzente
vorgestellt und zur Lektüre verteilt. Hier war eins der Forestier-Gedichte abgedruckt, mit kurzem biographischem Hinweis. Ein Gütesiegel! Fragen kamen da gar nicht erst nicht auf. Auch der Erfolg war stimulierend: sieben Auflagen zwischen September 52 und März 55 , insgesamt etwa 18000 Exemplare.
    Als Antrieb, als Movens eine suggestive Begleit-Story, in Maßarbeit entwickelt vom damaligen Herstellungsleiter Dr. Karl Emerich Krämer im Verlag, in dem er arbeitete: Diederichs. Folglich konnte er seine Gedichte samt Begleitgeschichte nicht persönlich dem Lektorat oder gleich dem Verleger Dr. Peter Diederichs vorlegen; ein Freund, Bundes-Chorleiter des Maintalsängerbundes, übernahm die Vermittlung.
    Der Vorgang ist oft genug besprochen worden, soll nicht wiederaufgerollt werden, nur ein paar Hinweise. Die zündende Begleit-Story zum Angebot von Gedichten ist vorgeformt im Schreiben an den Verleger. »Zur Person des Verfassers möchte ich Ihnen noch sagen: George Forestier wurde am 13 . Januar 1921 in Rouffach (Elsaß) geboren, studierte in Straßburg und Paris und nahm als SS -Freiwilliger am Ostfeldzug teil. Nach seiner Verurteilung als Kollaborateur hielt er sich einige Zeit unter fremdem Namen in Marseille auf, um dann als Freiwilliger nach Indochina zu gehen. Seit den Kämpfen um den Song-Woi im November vergangenen Jahres ist er vermisst. Die vorliegenden Gedichte sind seinen Briefen entnommen, die er im Laufe der Jahre an mich gerichtet hat. Die Gedichte sind deutsch geschrieben. Forestiers Mutter war Deutsche.«
    Der Verleger bekundete Interesse, das Angebot von Gedichten wurde erweitert: »Ein nahezu unwahrscheinlicher, aber um so

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